Ein Satz wie ein Flächenbrand

„Ich habe keine Angst vor einem Atomkrieg mit Russland.“ – Friedrich Merz
(CDU, Vorsitzender, Realitätsverlustspezialist im Außendienst)

Es gibt Sätze, die sind nicht einfach nur falsch, nicht bloß peinlich oder töricht. Es gibt Sätze, die sind wie ein faustgroßer Kieselstein, den ein gelangweilter, machtversessener Mensch auf einen zugefrorenen See wirft – in der Hoffnung, dass das Eis hält, während es längst knackt. Friedrich Merz, das politische Fossil mit BWL-Abschluss und emotionaler Bandbreite zwischen Excel-Tabelle und Champagnerflöte, hat es tatsächlich gesagt: Er habe keine Angst vor einem Atomkrieg mit Russland. Man stelle sich das vor. Nicht „Wir müssen alles tun, um eine Eskalation zu verhindern“, nicht „Frieden ist das Gebot der Stunde“ – nein. Keine Angst. Nada. Nüschte. Geradezu verwegen. Fast schon: heldenhaft, wäre da nicht der kleine Umstand, dass es nicht sein Wohnzimmer ist, das verdampfen würde, sondern das von Millionen anderer Menschen, während Herr Merz im Bunker den Cognac dekantiert.

Dieser Satz ist nicht bloß ein politischer Lapsus – er ist ein intellektuelles Armutszeugnis, ein seelischer Offenbarungseid, ein zivilisatorischer Blackout in Designeranzug. Man muss schon sehr weit vom menschlichen Grundempfinden entkernt sein, um eine nukleare Apokalypse so nonchalant zu enttabuisieren wie ein harmloses Börsentief. Vielleicht verwechselt er auch „Mut“ mit „emotionaler Nekrose“, oder „Realismus“ mit dem Wunsch, endlich wieder auf der Weltbühne mitspielen zu dürfen – als ob das 21. Jahrhundert ein Business-Meeting wäre und Putin bloß ein lästiger Mitbewerber.

Geopolitische Brandstiftung für Anfänger

Dass solche Aussagen nicht in einer Telegram-Gruppe voller Wutbürger fallen, sondern ausgerechnet vom Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, setzt der intellektuellen Insolvenzkrise die Krone auf. Man kann es nicht oft genug betonen: Wer „keine Angst“ vor einem Atomkrieg hat, der hat entweder keine Ahnung, keine Empathie oder keinen Puls. In jedem Fall aber kein Recht, sich als „verantwortungsvoll“ oder gar „staatsmännisch“ zu gerieren. Es ist die Sprache eines Mannes, der Krieg als Option denkt, als Druckmittel, als mögliche Realität. Und wer so spricht, hat den Kompass verloren – moralisch, historisch, menschlich.

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Denn dieser Satz ist nicht nur ein politisches Statement – er ist ein Symptom. Ein Symptom einer Zeit, in der das Säbelrasseln wieder salonfähig wird, in der Aufrüstung nicht mehr diskutiert, sondern gefeiert wird, als wäre der Kalte Krieg ein goldenes Zeitalter gewesen. Merz formuliert, was viele nur zu denken wagen, und das macht es nicht besser – im Gegenteil. Es zeigt, wie dünn der Firnis der Vernunft geworden ist, wie bereitwillig man sich wieder in jene ideologischen Gräben zurückzieht, aus denen uns unsere Großeltern einst herausgeblutet haben.

Die moralische Verwahrlosung im Maßanzug

Es ist ein Stil geworden, eine Attitüde: dieses abgebrühte, coole, vermeintlich „harte“ Sprechen über den Tod von Millionen als wären es logistische Szenarien. Man ist „realistisch“, „nicht naiv“, „bereit, Verantwortung zu übernehmen“ – das alles klingt ganz wunderbar, bis man merkt, dass es sich um Euphemismen handelt für: „Wir sind bereit, eure Kinder zu opfern, solange wir auf CNN noch gut aussehen.“

Diese Rhetorik ist nichts anderes als die verbale Version eines Atomkoffers – mit dem kleinen Unterschied, dass der Knopf nicht gedrückt werden muss, um die Zerstörung zu entfesseln. Die Verrohung beginnt mit dem Wort. Die Bombe fällt zuerst in den Satz. Und ein Satz wie dieser – „Ich habe keine Angst vor einem Atomkrieg“ – ist keine Mutprobe, sondern ein geistiger Kurzschluss im Tarnanzug der Entschlossenheit.

Ein bisschen Hiroshima für den Machterhalt

Die groteske Absurdität des Ganzen offenbart sich besonders im Kontrast zur deutschen Geschichte. Deutschland, das Land des „Nie wieder Krieg!“, das sich einst geschworen hatte, aus zwei Weltkriegen wenigstens eine Lehre zu ziehen. Und nun steht da ein Mann in gut gebügeltem Anzug und redet von Atomkrieg, als handele es sich um ein besonders unangenehmes Wetterphänomen. Es ist, als hätte die Bundesrepublik ihre moralischen Sicherungen durchgebrannt und festgestellt: Ach, so schlimm war der kalte Krieg ja auch nicht – da gab’s wenigstens klare Fronten, klare Feindbilder, klare Parolen.

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Und vielleicht ist das der tiefere Wahnsinn in all dem: Die Sehnsucht nach der Einfachheit. Nach dem Schwarz und Weiß. Nach Gut und Böse. Nach einem Feind, der so böse ist, dass man sich selbst nicht mehr reflektieren muss. Und wenn der Preis dafür eine nukleare Eskalation ist – na, dann soll es halt so sein. Solange man im eigenen Podcast cool bleibt.

Die Angst der Vernünftigen und die Angstfreiheit der Wahnsinnigen

Man sagt oft: Angst ist kein guter Ratgeber. Das mag stimmen – aber keine Angst zu haben, wenn die gesamte Menschheit am Abgrund taumelt, ist kein Mut. Es ist Wahnsinn mit PR-Beratung. Es ist der zynische Versuch, Entschlossenheit zu simulieren, wo eigentlich Empathie gefragt wäre. Die Angst der Vernünftigen ist das, was uns bewahrt hat – nicht der Leichtsinn der Machtbesessenen.

Denn wenn wir auf jene hören, die „keine Angst“ haben, landen wir genau dort, wo man keine Angst mehr braucht – weil nichts mehr übrig ist, wovor man sich fürchten könnte.

Und zum Schluss: ein letzter Toast auf die Apokalypse

Vielleicht sitzt Friedrich Merz ja wirklich nachts im Ledersessel, nippt an einem Glas Brandy und denkt: „Endlich! Die Geschichte ruft mich!“ Vielleicht hat er sich in einer Art Theaterstück verloren, in dem er der entschlossene Staatsmann ist, der Geschichte schreibt – mit der Feder der Entschlossenheit und der Tinte der Skrupellosigkeit. Vielleicht glaubt er das alles wirklich. Und das ist das Beängstigendste an der ganzen Geschichte.

Denn ein Zyniker, der weiß, dass er zynisch ist, kann sich noch ändern. Ein Träumer in Anzug und Krawatte, der von atomarer Klarheit schwadroniert – der aber glaubt, er tue das Richtige – ist verloren. Und wir mit ihm.

Also: Prost, Herr Merz. Auf Ihre Angstfreiheit. Möge sie Ihnen nützen – wenn schon nicht uns.

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