Ein Medikament namens Wende

Rezeptfrei, aber mit Langzeitnebenwirkungen

Es beginnt, wie viele deutsche Heilserzählungen beginnen: mit dem unerschütterlichen Glauben, dass sich jedes Problem durch Planwirtschaft, Verordnung und moralische Überlegenheit beheben lässt. Die Energiewende, dieses hypertrophe Großprojekt eines narzisstisch überladenen Staatsapparats, folgt einem medizinischen Grundsatz, den selbst mittelmäßig geschulte Kurpfuscher mit Sorge betrachten würden: Wenn das Mittel nicht wirkt, erhöhen wir die Dosis. Und wenn es dann noch nicht wirkt, ja, dann war es entweder noch nicht genug – oder der Patient ist eben schuld. Auf gar keinen Fall jedoch kommt man auf die ketzerische Idee, es könnte das falsche Medikament sein. Denn an der Diagnose darf nicht gezweifelt werden: fossile Energie ist das Böse, CO₂ die metaphysische Ursünde, und Strom muss aus dem Guten kommen – vorzugsweise aus Wind, Sonne oder Gewissensberuhigung.

Dabei hat man sich längst so tief in die ideologische Pharmakologie verstrickt, dass auch der letzte Wirklichkeitskontakt unter Quarantäne gestellt wurde. Die Strompreise steigen? Mehr Windräder! Die Netzstabilität sinkt? Mehr Solardächer! Dunkelflaute? Wärmepumpen und E-Autos! Alles wird gut – man muss nur mehr davon machen. Es erinnert an einen mittelalterlichen Bader, der den Aderlass verdoppelt, wenn der Kranke bleich bleibt. Dass er am Ende stirbt, ist dann ein Beweis dafür, dass der Patient das System nicht verstanden hat.

Der Fetisch der Technikfolklore – Mehr Wind, mehr Sonne, mehr Vision

In Deutschland glaubt man an Technik – aber nicht an Technik als Realität, sondern als Symbol. Das Windrad ist nicht nur ein Generator, es ist ein Fetisch der Moral. Die Solaranlage nicht bloß eine Stromquelle, sondern ein Beweis für Fortschritt, ein Totem der Zukunftsgläubigkeit, das über jedem Reihenhaus thront wie ein säkularer Heiligenschein. Dabei geht es weniger um Energie, als um Erzählung. Die Energiewende ist die deutsche Reinkarnation der Romantik: eine Mischung aus Naturverklärung, Erlösungssehnsucht und bedingungslosem Fortschrittsglauben – nur eben diesmal mit Ladebuchse.

TIP:  Die Moral der Anderen

So installiert man mit missionarischem Eifer Technologien, von denen man weder weiß, wie lange sie halten, noch wie sie recycelt werden. Die Stromnetze knacken? Es liegt an der Ungeduld, nicht an der Physik. Die Industrie wandert ab? Dann war sie eben nicht zukunftsfähig. Was man nicht braucht, wird abgeschaltet – erst die Kraftwerke, dann der gesunde Menschenverstand. Und wenn jemand fragt, wie das alles zusammenpassen soll, dann wird freundlich auf das Jahr 2045 verwiesen, in dem sowieso alles besser sein wird, weil man es heute beschlossen hat.

Dosis fatalis – Vom Zuviel des Richtigen und der Absenz des Nötigen

Es ist nicht so, dass es keine Probleme gibt – sie werden nur umetikettiert. Netzinstabilität wird zur „Herausforderung“, Strommangel zur „Chance für neue Geschäftsmodelle“, Blackouts zur „Resilienzprüfung“. Und wie begegnet man diesen Missständen? Mit derselben Strategie, mit der man in der Homöopathie Hoffnung erzeugt: mit Verdünnung durch Verstärkung. Wenn der Strom aus Wind und Sonne nicht reicht, dann bauen wir mehr davon. Dass das Energiesystem exponentiell schwieriger wird, je mehr volatile Quellen man hineinpumpt, wird als „Teil des Lernprozesses“ gesehen. Lernen allerdings darf nur in eine Richtung stattfinden – und niemals rückwärts.

Ein Kohlekraftwerk, das bei Minusgraden zuverlässig Energie liefert, ist heute verdächtig. Ein Windpark, der monatelang stillsteht, ist dagegen ein Hoffnungsträger. So steigert man sich in ein Energiemärchen hinein, das die Dosis zur Therapie erklärt. Dass irgendwann der gesamte Raum voller Solarpaneele, Wärmespeicher und regulatorischer Förderlogik steht, aber trotzdem kein Licht angeht – das ist dann kein Systemfehler, sondern die Schuld derer, die nicht genug geglaubt haben.

Und wenn es das falsche Medikament ist? – Eine verbotene Frage

Die eigentliche Blasphemie liegt nicht im Zweifel an der Technik – sondern im Zweifel an der Erzählung. Denn wer fragt, ob es vielleicht das falsche Medikament ist, ob man vielleicht nicht mehr, sondern anders machen müsste, der stellt nicht nur das System infrage, sondern die Identität einer ganzen politischen Kaste. In Deutschland darf alles diskutiert werden – solange es die Grundrichtung bestätigt. Es darf gezweifelt werden, ob der Windkraftausbau schnell genug geht, nicht aber, ob Windkraft allein überhaupt reicht. Es darf gefragt werden, wie viele E-Autos wir brauchen, nicht aber, ob individuelle Mobilität mit tonnenschweren Batterien der Weisheit letzter Schluss ist.

TIP:  Kriegstreiber an die Front

Der Verdacht, dass man vielleicht ein völlig überdosiertes Placebo verabreicht, darf nicht gedacht, geschweige denn ausgesprochen werden. Denn er würde das moralische Fundament erschüttern, auf dem ganze Karrieren, Parteiprogramme und Industrieumstrukturierungen gebaut sind. Also erhöhen wir weiter die Dosis. Bis der Patient zufrieden schweigt – oder endgültig kollabiert.


Fortsetzung folgt: In einem Land vor unserer Zeit. Oder spätestens nach dem nächsten flächendeckenden Stromausfall.

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