Die Wiederkehr der Kriegstüchtigkeit

Man möchte meinen, Deutschland habe sich an ein Mantra gehalten, das in hiesigen Kreisen allzu oft als universelles Heilmittel für jede politische Krise betrachtet wird: „Mehr Waffen, mehr Sicherheit.“ Es ist eine beinahe poetische Verknappung des altbewährten Spruchs, dass Kanonenbrot und Militärparaden das Rückgrat einer friedlichen Gesellschaft seien.

Doch es ist natürlich nicht „Aufrüstung“, sondern „Verteidigung“. Eine begriffliche Nuance, die etwa so subtil ist wie ein Leopard-2-Panzer, der mit maximaler Geschwindigkeit durch die semantische Debatte pflügt. Würde der aufmerksame Bürger nachfragen, warum so massiv in „Sicherheit“ investiert werden muss, könnte man ihm sicher mit charmantem Regierungsdeutsch begegnen: „Es ist kompliziert.“ Und damit wäre die Debatte wohl beendet, ehe sie begonnen hat.

Straßen, Brücken und andere Feinheiten der Kriegslogistik

Was genau umfasst eigentlich die ominöse „Infrastruktur“, die dieser Tage so gerne als Herzstück der Modernisierung angepriesen wird? Nun, sicherlich nicht nur Bahnstrecken, damit die täglichen Pendler pünktlich ihre Zielorte erreichen. Nein, es sind vor allem die Brücken und Straßen, die Panzer tragen können müssen. Flughäfen, die auch im Krisenfall schweres Material abfertigen können. Häfen, die sich nicht nur für den Import von italienischem Rotwein, sondern auch für die logistische Versorgung einer kämpfenden Truppe eignen.

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass Deutschland sich – zum ersten Mal seit langem – darauf vorbereitet, ein „kriegstüchtiger“ Staat zu werden. Ein Begriff, der in den 1990er Jahren noch als anachronistisch, gar obszön galt, hat plötzlich den Nimbus der Unvermeidlichkeit. Wer sich daran stört, wird milde belächelt und als naiver Friedensromantiker abgetan. Wer es öffentlich kritisiert, dem wird angedeutet, er könne ja mal nach Russland ziehen, um dort seine pazifistischen Neigungen auszuleben.

Die Propaganda des Alternativlosen

Man würde es nicht glauben, aber in den „seriösen“ Medien gibt es offenbar ein geheimes Redaktionshandbuch für Rüstungsberichterstattung. Darin steht: Vermeide die Begriffe „Militarisierung“, „Aufrüstung“ oder gar „Kriegsvorbereitung“. Sprich stattdessen von „Modernisierung“, „Förderung der Einsatzbereitschaft“ und „Bündnisverpflichtungen“. Erwecke nicht den Eindruck, dass hier milliardenschwere Konzerne an der Umverteilung von Steuergeldern interessiert sein könnten. Betone stattdessen, dass wir mit unseren Investitionen lediglich „Versäumnisse der Vergangenheit aufholen“.

TIP:  Die Halbwertszeit der Wahrheit

Das Wunderbare an dieser Form der Berichterstattung ist ihre unausgesprochene Alternativlosigkeit. Wer hätte nicht gerne eine gut ausgestattete Armee? Wer wollte schon zusehen, wie „die anderen“ aufrüsten, während wir uns in Lämmernatur übten? Und so dreht sich das Argumentationskarussell, bis auch die letzten Skeptiker nur noch ein gedankenverlorenes „Ja, aber…“ hervorbringen, ehe sie resigniert ihre Zeitung zusammenfalten.

Tucholsky würde sich im Grab umdrehen

Währenddessen bleibt der Unbequeme, der ewig währende Mahner, der auch heute noch mit seinen Zeilen in den Ohren klingelt: Kurt Tucholsky, der schon 1921 in der „Weltbühne“ schrieb, dass nichts schwerer sei, als „sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“ Ein Nein, das in der aktuellen Debatte wenig Chancen hat, gehört zu werden. Ein Nein, das in Redaktionsstuben als Relikt vergangener Zeiten abgetan wird. Ein Nein, das nicht in die auf Hochglanz polierte Zukunftsvision eines wehrhaften Deutschlands passt.

Es bleibt also nur noch die Frage, wie lange es dauert, bis die ersten Politiker voller Stolz verkünden: „Deutschland ist wieder kriegstüchtig!“ Wahrscheinlich nicht mehr lange. Und vermutlich werden sie dabei auch noch Beifall ernten.

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