Die Welt im Jahr 2035, nach den Empfehlungen aus Davos

Du wirst nichts besitzen – und dich nicht einmal mehr aufregen können

I. Die Wetterlaunen der Götter – oder: Warum der Regen jetzt privat ist

Man stelle sich einen gewöhnlichen Dienstag im Jahr 2035 vor. Der Himmel ist bedeckt, wie immer, seitdem die Sonne einen Exklusivvertrag mit Saudi Aramco unterzeichnet hat und nur noch zwischen 9 und 11 Uhr über mitteleuropäischen Territorien scheint – gegen Gebühr versteht sich. Die Regenwolken, so munkelt man, gehören längst einem Konsortium aus BlackRock, der EU-Kommission und einem ehemaligen russischen Oligarchen, der nun unter dem Namen „Mother Gaia Corp.“ firmiert. Extreme Wetterereignisse heißen sie, doch in Wirklichkeit handelt es sich um einen meteorologischen Putsch gegen die letzten Reste menschlicher Planbarkeit.

Die Bürger, liebevoll „Stakeholder“ genannt, dürfen zwar noch wählen – zwischen Hitzewelle, Überschwemmung oder Mikroplastik-Sandsturm – aber das Abstimmungsrecht ist an die Menge gespeicherter CO₂-Zertifikate gebunden. Wer noch glaubt, er könne sich durch einen Spaziergang am See der Apokalypse entziehen, wird durch eine spontane Tornado-App auf dem iPhone eines Bessergestellten eines Besseren belehrt. Immerhin: Die neue Outdoor-Versicherung gegen „emotionale Wetterbelastung“ ist bereits in der Premiumversion von Netflix integriert.

II. Biodiversität – Nur noch im Museum und NFT-kodiert

Was einst summte, flatterte und brummte, hat inzwischen seine Lebensberechtigung gegen ein Start-up getauscht, das Hummelgeräusche via Blockchain handelt. Biodiversität, so das WEF, sei 2035 eine der größten Gefahren – aber weniger wegen ihres Verlustes, sondern weil zu viele Menschen anfangen könnten, sich an Bäumen festzukleben, die es nicht mehr gibt.

Die letzten echten Wildblumen werden in klimatisierten Gewächshäusern auf dem Mars gezüchtet und im Livestream gegen Ether versteigert. Ein Kind, das eine echte Biene sieht, gilt als gefährdeter als ein 12-Jähriger mit VR-Headset in einem Blacksite-Kampfsimulator. Schuld sei natürlich der Mensch – also nicht der Mensch, sondern dieser eine bestimmte Typ, der 2016 einen Diesel fuhr und gelegentlich Fleisch aß. Ansonsten hat sich die Schuldfrage längst erledigt: Der Planet stirbt, aber immerhin in geregelten Parametern.

III. Erdsysteme am Limit – Das Thermostat der Welt ist in Davos kaputt

Die Kipppunkte des Klimas sind inzwischen so zahlreich wie die Ausreden deutscher Verkehrsminister. Tundra taut, Meere kochen, Permafrost blubbert Methan wie ein Betrunkener nach einem veganen Chili. Und doch: Die Charts bei Bloomberg zeigen weiterhin grüne Balken, und der Wirtschaftsnobelpreis ging letztes Jahr an einen Algorithmus, der CO₂ mit Emoticons quantifiziert.

Das Erdsystem ist kritisch, ja – aber wenigstens schön modelliert. Die neuen Klima-Szenarien tragen Namen wie Netflix-Serien: „RCP 8.5 – Inferno Edition“, „Scenario Alpha: Mad Max Global“ oder „Szenario Greta Prime“. Während der Südpol langsam an Berlin heranrutscht, verkauft Siemens Smart Homes mit eingebauter Ozonleck-Warnung, inklusive Alexa-Anbindung. Die Menschheit lebt in einer Simulation ihrer eigenen Zukunftsängste – powered by SAP.

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IV. Ressourcen sind das neue Gold – und gehören Jeff Bezos

2035 gibt es nur noch drei echte Ressourcen: Lithium, sauberes Trinkwasser und Ruhe. Alle drei sind rationiert und nur im Abo-Modell erhältlich. Der Zugang zu natürlichen Ressourcen wurde erfolgreich demokratisiert, was bedeutet: Wer genug zahlt, darf entscheiden, ob der Kongo noch Flüsse haben darf.

Kinder lernen im Ethikunterricht, dass „Nachhaltigkeit“ der Glaube an den Wiedereintritt von Regenwald sei, sobald genug NFTs dafür gemint wurden. Die USA verlegen den Grand Canyon in einen chinesischen Bergbaubereich, Europa diskutiert darüber, ob recycelter Müll aus Indien nicht doch ein Beitrag zur „globalen Gerechtigkeit“ sei.

Wer sich heute noch traut, einen Apfel mit Kern zu essen, gilt als radikaler Bioterrorist.

V. Fehl- und Desinformation – Die Wahrheit stirbt zuletzt, aber sie stirbt

Früher hieß es: „Wissen ist Macht“. 2035 lautet das Pendant: „Wissen ist ein Abo-Modell mit integriertem Deepfake-Filter, der dich automatisch blockt, wenn du zu oft nach ‚Julian Assange‘ googelst.“ Die Realität ist kein fester Zustand mehr, sondern ein durch Metadaten quantifizierter Dienstleistungsbereich im globalen Wahrnehmungsmarkt. Was wahr ist, bestimmen Algorithmen, deren genaue Funktionsweise unter nationalem Sicherheitsgeheimnis steht.

Fehlinformation entsteht heute nicht mehr durch Unwissenheit, sondern durch zu viele Zertifikate in Medienethik. Die große Ironie: In einer Zeit, in der jede Aussage auf zehn Faktenchecks trifft, weiß niemand mehr, was tatsächlich stimmt – oder schlimmer noch: Es ist völlig egal. Der Mensch von 2035 hat gelernt, sich in Filterblasen so heimelig einzurichten, dass selbst Tsunamis nur noch als Content-Störung wahrgenommen werden.

Desinformation ist also nicht das Problem – sondern, dass wir Information für irrelevant halten, solange sie nicht im TikTok-Format aufbereitet ist. Und der „Fehl“-Teil ist ohnehin passé – alles ist irgendwo richtig, solange es monetarisiert werden kann.

VI. KI und ihre missratenen Kinder – Der Golem hat ein LinkedIn-Profil

Künstliche Intelligenz ist in etwa so künstlich wie ein Fußballstadion in Katar: Man weiß, dass es gebaut wurde, aber niemand weiß genau, wofür. 2035 haben KIs nicht nur unser Denken automatisiert, sondern auch unsere Dummheit lizenziert. Es gibt einen Chatbot für alles – von der Beziehungsberatung über das Schreiben von politischen Reden bis hin zur Teilnahme an Ethikkommissionen.

Was früher noch Science-Fiction war, ist heute Personalentwicklung: KI-gestützte Mitarbeiterbewertungen entscheiden darüber, ob du als empathiefähig oder kündigungsreif giltst. Die Maschinen sind nicht böse – sie sind einfach effizient, und das ist viel gefährlicher. Denn Effizienz kennt keine Ironie, keinen Kontext und kein „Aber du weißt doch, wie ich’s meine“.

Missbrauch von KI heißt nicht mehr „Terminator-Szenario“, sondern: Du bekommst deine eigene Kündigung als Gedicht im Stil von Rainer Maria Rilke vorgelesen – von einem Algorithmus, der deine Mimikdaten in Echtzeit auswertet und entscheidet, ob du dafür zu emotional bist.

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VII. Ungleichheit – Jetzt auch in nachhaltiger Verpackung

Die Schere zwischen Arm und Reich ist inzwischen so weit geöffnet, dass man bequem einen Privatjet hindurchfliegen lassen kann – während die untere Hälfte auf dem Rollfeld picknickt und „Teilhabe“ skandiert. Das WEF spricht von „Ungleichheit“ als Risiko – was an sich schon ein Witz ist, weil es etwa so ist, als würde ein Pirat das Sinken seines eigenen Schiffes beklagen, während er noch das Silber auf ein Beiboot trägt.

In 2035 ist Ungleichheit nicht mehr nur ökonomisch – sie ist bio-ökosozialdigital. Es gibt Menschen, die sich Gesundheit, Bildung und echte Nahrungsmittel leisten können – und dann gibt es die Mehrheit, die mit synthetischem Sojakonzentrat, algorithmischer Nachhilfe und Gamification ihrer Lebenserwartung abgespeist wird.

Das Feuilleton feiert den „Verzicht als neuen Luxus“ – aber natürlich nur, wenn er auf handgewebtem Jute aus Upcycling-Workshops basiert und von einer Influencerin auf Bali präsentiert wird. Der Rest? Hält sich an digitalen Brotkanten und nennt es Fortschritt.

VIII. Polarisierung – Jeder gegen jeden, aber bitte klimaneutral

Früher konnte man sich wenigstens noch auf die Fußballmannschaft oder die Farbe des Bundeskanzleranzugs einigen. 2035 dagegen ist selbst die Meinung über Wetter, Ernährung und Atmen zur ideologischen Kriegserklärung geworden. Polarisierung ist das neue Fitnessprogramm: Wer es schafft, sich täglich über mindestens drei Meinungen aufzuregen, gilt als gesellschaftlich aktiv.

Die Gesellschaft ist gespalten in die, die sich für gut halten – und die, die sie für dumm halten. Ein Dialog ist nicht mehr vorgesehen, denn zwischen den Fronten liegt ein algorithmisch befeuerter Graben aus Misstrauen, Selbstoptimierung und chronischer Überforderung. Twitter wurde längst verboten, weil es zu viele reale Gefühle ausgelöst hat; stattdessen streitet man sich in MetaSpaces unter Avataren, die so aussehen wie man selbst, aber woke-zertifiziert sind.

Die Ironie? Wir leben in der am besten vernetzten Gesellschaft der Geschichte – und fühlen uns einsamer denn je. Polarisierung ist also kein Nebeneffekt, sondern ein Feature. Nur leider ohne Opt-out.

IX. Cyberspionage und -kriege – Angriff ist die beste Vertragsbedingung

Kriege werden nicht mehr mit Bomben geführt, sondern mit DNS-Eingriffen, Meme-Offensiven und der gezielten Störung von Lieferketten. 2035 beginnt der dritte Weltkrieg nicht mit einem Schuss – sondern mit dem Update einer Druckersoftware in Estland. Die Nationalstaaten haben längst die Kontrolle verloren – heute kämpfen Konzerne gegeneinander, und die „zivile Bevölkerung“ ist dabei nur ein Datenpunkt im Battle-Ranking.

Cyberspionage ist der Normalzustand: Niemand weiß mehr, wer wann welche Kamera aktiviert hat. Die meisten machen sich eh nichts mehr aus Privatsphäre – man hat sich daran gewöhnt, dass das eigene Gesicht in drei Staaten gleichzeitig identifiziert wird, bevor man den Supermarkt betritt.

TIP:  Elektromobilität - Alles nicht neu

Was früher als „Verschwörung“ galt, ist heute schlicht Vertragsklausel: „Durch Nutzung dieses Toasters stimmen Sie zu, dass Ihre Stimme zu Trainingszwecken verwendet wird.“

X. Umweltverschmutzung – Jetzt auch in Virtual Reality

Die Welt ist voller Müll – digital, materiell und ideologisch. Das Meer besteht zu 60 % aus Mikroplastik, 30 % aus toten Meerestieren und 10 % aus griechischem Tourismus. Die Luft riecht nach Apple-Store, die Böden sind versiegelt, und der Mensch ist eine wandelnde Emissionsquelle mit Fitness-Tracker. Doch Hauptsache, der Müll wird ordentlich getrennt, damit das Gewissen recycelbar bleibt.

Umweltverschmutzung ist 2035 nicht mehr sichtbar – weil sie elegant virtualisiert wurde. Wer genug Punkte in der Klima-App gesammelt hat, bekommt eine Augmented-Reality-Brille, die Abgase in bunte Regenbögen umwandelt. Müll ist eine ästhetische Frage geworden: In bestimmten Kunstkreisen gilt ein Ölteppich inzwischen als politisches Statement.

Kurzum: Die Welt stirbt – aber schön kuratiert, mit Hashtag #Hope2035.

Epilog: Vom Ende der Welt als Premium-Feature

Und da stehen wir nun. Mit Vollgas Richtung 2035 – einem Jahr, das nicht mehr nach Zukunft riecht, sondern nach abgebranntem Teslasitz, vergorenem Kombucha und institutionalisierter Ohnmacht. Die zehn größten Risiken lesen sich wie das Menü eines dekadenten Sternerestaurants auf der Titanic kurz vor dem Eisberg. Nur, dass das Wasser mittlerweile verkauft wird, das Schiff per App steuerbar ist, und der Eisberg wegen globaler Erwärmung in Dubai konferiert.

Was uns erwartet, ist nicht der große Knall, nicht das biblische Ende mit Feuer und Rauch – nein, es ist ein schleichender, regulierter, durchökonomisierter Zerfall mit Kundenbetreuung und AGBs. Die Apokalypse wurde in modulare Szenarien aufgeteilt, digitalisiert, gamifiziert und als „Herausforderung“ umetikettiert. Und wer sich darüber beklagt, gilt nicht etwa als kritisch, sondern als „resilienzverweigernd“.

„You will own nothing and be happy“, heißt es aus Davos. Das ist nicht nur eine Prognose, es ist eine Drohung im Gewand eines Wellnessmantras. Denn wer nichts besitzt, kann auch nicht widersprechen – keine Stimme, keine Datenhoheit, keinen Einfluss. Aber Hauptsache: Du fühlst dich dabei gut, atmest CO₂-kompensiert und denkst, dass Verzicht die höchste Form von Tugend ist.

Vielleicht liegt darin die perfideste Pointe dieser Zukunft: Dass der Mensch nicht etwa verliert, weil er zu wenig weiß, sondern weil er gelernt hat, das Richtige zu fühlen, selbst wenn alles um ihn herum brennt. Die Flammen sind klimazertifiziert, die Angst therapierbar, die Welt nur ein Narrativ – und du? Du scrollst weiter.

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