
Wenn das Gute versagt, gewinnt das Primitive
Es ist eine historische Konstante, eine politische Gravitationskraft, so vorhersehbar wie das Wetter in Wanne-Eickel oder das Lächeln von Olaf Scholz: Immer dann, wenn Linke und Demokraten sich ihrer inneren Widersprüche zu sehr hingeben, wenn sie sich in akademisch-pedantischen Debatten über Sternchen, Hautfarben und Geschlechtervielfalt verzetteln, wenn sie aus jeder symbolischen Nebensächlichkeit ein moralisches Armageddon basteln, dann – ja, dann stehen sie schon da, mit fester Frisur und loser Rhetorik, die Rechten. Nicht, weil sie besser sind, sondern weil die anderen schlechter werden. Ihre Stärke ist kein Produkt strategischer Genialität, sondern eine Reaktion – auf das geistige Chaos ihrer Gegner, auf die Realitätsverleugnung der Mitte, auf das Pathos ohne Pragmatismus.
Es ist kein Wunder, dass rechte Parolen wie Pfeile durch einen diskursiven Nebel fliegen, der von der Linken selbst erzeugt wurde – mit einem Räucherstäbchen aus Empörung, Verbotsforderungen und moralischer Hybris. Die Rechten brauchen keine Argumente, solange die Linke keine Klarheit hat. Keine Lösungen, solange die Demokraten sich gegenseitig in Wortfindungspanik neutralisieren. Und keine Ideale, solange das Ideal der Linken darin besteht, niemanden zu kränken – außer jene, die es wagen, den Pragmatismus zu verteidigen.
Moralische Hochsitze und politische Niederlagen
Wer auf einem Hochsitz sitzt, hat den besseren Überblick – aber auch den weitesten Fall. Die Linke, insbesondere in ihrer intellektuellen, urbanen Ausprägung, hat sich in den letzten Jahren ein moralisches Hochplateau gebaut, auf dem man sich gegenseitig für den richtigen Sprachgebrauch, die angemessene Sensibilität und die korrekte Haltung beklatscht. Man diskutiert nicht mehr, man korrigiert sich. Man kämpft nicht mehr gegen soziale Ungleichheit, sondern gegen sprachliche Unreinheiten. Es ist ein Diskurs geworden, der keine Arbeiter mehr braucht – nur noch Seminarbesucher.
Währenddessen läuft der kleine Mann – das ist der mit dem Brötchen in der Hand und dem kaputten Fahrwerk im Golf IV – kopfschüttelnd davon. Nicht, weil er plötzlich AfD mag. Sondern weil ihn niemand mehr versteht. Weil seine Sorgen im semantischen Feinschliff der Wohlmeinenden verloren gehen wie ein schlichter Gedanke in einer Gender-Tagung. Er sieht: Die Linke kämpft für Minderheiten, aber nicht für seine Stromrechnung. Sie schützt die Sprache vor Diskriminierung, aber nicht die Straße vor Verwahrlosung. Sie umarmt die Welt, aber nicht das eigene Viertel.
Die Demokraten – Technokratie als Ablenkung vom Bedeutungsverlust
Und die Demokraten? Die Mitte? Sie steht da wie ein überforderter Schiedsrichter im Spiel der Ideologien – pfeift zu spät, erklärt zu viel und zeigt Karten, die keiner mehr ernst nimmt. Was sie Politik nennen, ist oft nichts weiter als Verwaltung von Stillstand mit freundlichem Gesichtsausdruck. Sie machen Politik wie Excel-Tabellen: korrekt, sachlich, völlig unberührbar. Aber Politik ist keine Steuererklärung, sie ist Drama, Leidenschaft, Richtung. Und wer nur moderiert, statt zu führen, wird am Ende von denen verdrängt, die wenigstens so tun, als würden sie wissen, wo’s langgeht – selbst wenn sie nur ins Dunkel marschieren.
Demokratische Parteien sind in vielen Ländern zu Maschinen geworden, die sich mehr mit internen Kommissionen als mit externen Realitäten beschäftigen. Ihre Sprache klingt wie ein Handbuch zur Bedienung einer Ethik-Waschmaschine. Es wird alles reingewaschen, was sich noch irgendwie nach Standpunkt anhört – bis nur noch ein Restposten von Allgemeinplätzen bleibt: Vielfalt, Nachhaltigkeit, Fortschritt, Resilienz. Kein Wunder, dass viele Menschen sich nach jemandem sehnen, der nicht nur redet, sondern brüllt – auch wenn er Unsinn brüllt.
Rechte Simplizität als Antwort auf linke Komplexitätspanik
Die Rechte gewinnt nicht, weil sie gut ist, sondern weil sie einfach ist. Ihre Stärke liegt im Mantra des Klartextes, im Versprechen der Rückkehr zur Ordnung, im scheinbar einfachen „gesunden Menschenverstand“, der nichts anderes ist als intellektuelle Insolvenz mit einem Lächeln. Wenn die Linke Differenzierung fordert, sagt die Rechte: „Zu viel durcheinander!“ Wenn die Demokraten abwägen, sagt die Rechte: „Zu weich!“ Wenn die progressiven Kräfte warnen, sagt die Rechte: „Jetzt reicht’s!“
Und die Leute hören zu – nicht, weil sie überzeugt sind, sondern weil sie erschöpft sind. Erschöpft von einem politischen Betrieb, der sich lieber in die eigene symbolische Reinheit verliebt als in die praktische Verbesserung der Wirklichkeit. Die Rechten brauchen keine Vision, solange die anderen ihre Brille verloren haben. Sie müssen keine Antworten geben, wenn die Linke nicht mal mehr weiß, was die Frage ist.
Historische Wiederholung mit Variationen
Die Geschichte kennt dieses Muster gut: Immer dann, wenn sich die Linken im Labyrinth ihrer eigenen Theorie verirren und die Demokraten ihre eigenen Kompromisse nicht mehr verkaufen können, kommen sie zurück: die Rechten, die Vereinfacher, die Rückwärtsläufer. Die Revolution frisst ihre Kinder, und die Demokratie füttert ihre Gegner mit ihrer Selbstzweifel-Diät.
Die Weimarer Republik ging nicht an Hitler zugrunde, sondern an Demokraten, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, und Linken, die sich mehr mit dem ideologischen Klassenfeind in der eigenen Bewegung stritten als mit dem Faschismus draußen. Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. Aber sie reimt sich. Und aktuell klingt sie wie ein Gedicht von Brecht, das von Friedrich Merz vorgetragen wird – mit AfD-Untertiteln.
Die Rechte wird nicht stark – sie wird eingeladen
Die Rechte wächst nicht aus eigener Kraft. Sie wird genährt von der Schwäche ihrer Gegner. Sie lebt von ihren Feinden wie ein Parasit auf einem Wirt, der zu höflich ist, um sich zu kratzen. Man klagt über Populismus, doch bietet selbst keine populären Ideen. Man empört sich über die Sprache der Rechten, doch liefert selbst keine greifbaren Inhalte. Man zitiert Hannah Arendt, aber hat die Kneipe vergessen, in der Politik wirklich passiert.
Die große Tragik unserer Zeit ist nicht die Rückkehr der Rechten, sondern die Selbstlähmung derer, die es besser wissen müssten. Denn die Demokratie stirbt nicht durch einen Putsch. Sie stirbt, wenn ihre Verteidiger beginnen, sich nur noch gegenseitig zu korrigieren, statt gemeinsam zu kämpfen.