
Es gibt Dinge, die sind so offensichtlich, dass man sie eigentlich gar nicht mehr aussprechen müsste, wäre da nicht das beharrliche Schweigen des offiziellen Narrativs, das jede Diskrepanz zwischen Ideologie und Realität mit der Eleganz eines antiken Redekünstlers in wohlgesetzte Euphemismen verpackt. Und so stehen in Österreich Synagogen unter Polizeischutz, während Moscheen es nicht müssen. Eine Banalität, ein bloßes Faktum, in Zahlen ausgedrückt: etwa 15.000 Juden, aber über 750.000 Muslime. Doch was sagen Zahlen schon aus in einer Gesellschaft, die sich unaufhörlich in der metaphysischen Selbstbefragung über Identität, Schuld und Fortschritt ergeht? Und vor allem: Warum ist das so?
Der asymmetrische Sicherheitsdiskurs: Wer schützt wen und warum?
Es gibt eine einfache Erklärung, die allerdings in der moralisch erhabenen Blase der gutgemeinten Gesellschaftsdialoge als „unangemessen verkürzt“ gelten würde: Synagogen werden bedroht, Moscheen nicht. Oder genauer: Die größte Gefahr für Juden in Österreich geht nicht von Repräsentanten der Mehrheitsgesellschaft aus, sondern von einer importierten Ideologie, die sich unter dem schönen Banner des Multikulturalismus unbemerkt eingeschlichen hat. Dies auszusprechen, ist jedoch in etwa so ratsam, wie einem versoffenen Wirt zu erklären, dass sein Bier nach Spülwasser schmeckt – es stößt auf wenig Gegenliebe.
Die Logik der Bedrohung ist asymmetrisch: Es gibt keine jüdischen Terroristen, die sich in europäischen Fußgängerzonen in die Luft sprengen. Keine Rabbiner, die fatale Bekenntnisse in schlecht übersetztem Arabisch raunen. Keine jüdischen Gemeinden, die schariarechtliche Paralleljustizen etablieren. Und doch ist es genau diese Asymmetrie, die im allgemeinen Diskurs nicht vorkommen darf. Die feinsinnigen politischen Deuter erklären uns stattdessen, dass Antisemitismus in Österreich ein „gesamtgesellschaftliches Problem“ sei, während die steigenden Sicherheitsmaßnahmen für Synagogen ein „bedauerlicher, aber notwendiger Schutz gegen Extremismus jeglicher Art“ darstellten. Jeglicher Art! Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, während der örtliche Polizeibeamte vor dem jüdischen Gemeindezentrum einen kalten Kaffee schlürft und sich fragt, wie lange es dauert, bis seine Präsenz nicht mehr als provokative Machtdemonstration der übergriffigen Staatsgewalt, sondern als bloße Notwendigkeit anerkannt wird.
Der multikulturelle Balanceakt: Zwischen Opferstatus und Herrschaftsanspruch
Die Krux ist nun, dass sich die kulturelle Hegemonie des Diskurses nicht nach empirischer Evidenz, sondern nach ideologischen Modeerscheinungen richtet. So ist die Vorstellung, dass in Österreich Muslime strukturell benachteiligt würden, so tief in den politischen Reflexen verankert, dass jedes Gegenargument als Ketzerei gilt. Der Schutz von Synagogen wird in dieser Logik nicht als Ausdruck einer realen Bedrohung, sondern als Teil einer verschwörungstheoretischen Rhetorik des „rechten Lagers“ abgetan, das natürlich nur darauf wartet, jede Form islamischer Präsenz zu diffamieren.
Dabei ist die Situation viel einfacher und zugleich unendlich komplizierter: Der Islam in Österreich ist nicht monolithisch, sondern ein Patchwork aus nationalen, ethnischen und theologischen Fraktionen, die einander teils misstrauisch beäugen, teils offen bekämpfen. Und trotzdem eint sie eines: das Image des ewig Bedrohten, des strukturell Diskriminierten, des Marginalisierten. Es ist eine komfortable Position, die es ermöglicht, einerseits als Opfer aufzutreten und andererseits kulturelle Deutungshoheit zu beanspruchen.
Der blinde Fleck des Mainstreams: Warum keine Debatte stattfindet
Die Tatsache, dass Synagogen polizeilich bewacht werden müssen, ist also weniger eine Folge staatlicher Paranoia als vielmehr ein Indikator dafür, dass die real existierenden Spannungen nicht thematisiert werden dürfen. Wer wagt es, die Frage zu stellen, warum die jüdische Minderheit, die in Österreich kaum 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, als Sicherheitsrisiko betrachtet wird – nicht für andere, sondern für sich selbst? Und warum jene Gruppen, die sich als Opfer institutioneller Islamophobie stilisieren, in der Praxis nicht dasselbe Maß an Bedrohung erfahren?
Die Antwort ist unbequem, also wird sie nicht gegeben. Lieber verbleiben wir im Kokon der wohlmeinenden Ignoranz, in dem jede Form der Islamkritik als Hetze, jede Mahnung zur Vorsicht als Xenophobie und jede Sicherheitsmaßnahme für jüdische Einrichtungen als „traurige Notwendigkeit“ bezeichnet wird, ohne dass jemand die Frage stellt, warum diese Notwendigkeit eigentlich besteht.
Aber gut. Solange man noch ohne Polizeischutz einen Kaffee trinken kann, soll man es wohl einfach dabei belassen.