Unangenehme Entscheidungen

Wie wir lernten, das Sozialwesen zu lieben und trotzdem zu entwaffnen

„Wenn man mehr für Verteidigung aufwenden müsse, gehe das zwangsläufig auf Kosten anderer Aufgaben.“
Ein Satz wie ein freundlicher Einbruch. Man entschuldigt sich höflich für das Aufbrechen der Tür, beteuert sein Mitgefühl für das eingeschlagene Fenster und verspricht, die geklauten Wertsachen immerhin klimagerecht entsorgt zu haben. CDU-Politiker Thorsten Frei hat es ausgesprochen. Mit einer Mischung aus der kühlen Selbstverständlichkeit eines Bankiers, der dir erklärt, warum dein Konto nun leer ist, und dem jovialen Lächeln eines Zahnarztes, der dich auf die anstehende Wurzelbehandlung vorbereitet – selbstverständlich ohne Betäubung, wegen der Staatsräson.

Es ist also soweit: Die „schwarze Null“ hat sich in Tarnkleidung geworfen, und wo früher noch das Märchen vom Sozialstaat erzählt wurde, marschiert jetzt das neue Narrativ ein – schwer bewaffnet und unbarmherzig durchkalkuliert. Gesundheit, Pflege, Rente – das alles steht nun nicht mehr unter dem Schutzmantel der Demokratie, sondern unter dem Rotstift der sicherheitspolitischen Nüchternheit. Der Staat will investieren, allerdings nicht mehr in seine Bürger, sondern in ihre Bewaffnung. Nicht in Fürsorge, sondern in Frühwarnsysteme.

Das Bekenntnis zur Wehr – oder: Der Mensch als Kollateralschaden

Was hier passiert, ist keine Haushaltsumschichtung. Es ist ein symbolischer Offenbarungseid mit Waffenschein. Die zukünftige schwarz-rote Koalition – man erinnere sich, diese müde Ehe aus Vernunft, Erschöpfung und gegenseitigem Erpressungspotenzial – hat offenbar beschlossen, dass Panzer nützlicher sind als Pflegekräfte. Dass Soldaten auf dem Papier wichtiger erscheinen als Senioren im Heim. Dass der Schutz der Staatsgrenzen edler ist als der Schutz des eigenen Volkes vor Altersarmut.

Und man sagt es nicht etwa zähneknirschend. Nein. Man sagt es mit staatsmännischer Grandezza, mit dem Brustton der Notwendigkeit. Frei nennt es eine „Umschichtung“. Ein schönes Wort, klingt fast nach ergonomischem Kissenbezug oder einer neuen Feng-Shui-Ordnung im Bundeshaushalt. Gemeint ist jedoch: Die Gesellschaft wird zur Zielscheibe fiskalischer Grausamkeit erklärt – für eine militärische Aufrüstung, die so alternativlos daherkommt wie ein kalter Entzug. Und wehe, man stellt die falschen Fragen.

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Von der Sozialen Marktwirtschaft zur Marktwirtschaft ohne Sozialem

Wer geglaubt hatte, dass sich nach der Pandemie, nach der Inflation, nach dem Dauerzustand der kollektiven Überforderung vielleicht eine Art Rückbesinnung auf den Menschen einstellen würde, der hat die Rechnung ohne die neue Wertetabelle gemacht. Die aktuelle Regierung, in der konservative Pragmatiker und sozialdemokratische Pragmatiker einander um die Wette vergessen, was einst ihre Werte waren, hat eine neue Formel gefunden:

Rüstung > Rente. Drohne > Demenz. Militärstandort > Krankenhausstandort.

Man muss sich das vorstellen: Während Pflegekräfte ihre Jobs quittieren, weil sie unterbezahlt, überfordert und gesundheitlich am Ende sind, werden Milliarden in Hightechwaffen gesteckt, die – wenn alles gut läuft – nie benutzt werden und – wenn alles schlecht läuft – auch niemanden mehr brauchen, der gepflegt werden müsste. Das ist effizient. Das ist konsequent. Das ist ein politischer Darwinismus mit europäischer Verbrämung.

Das Wort zum Sonntag

Wie wohltuend ehrlich klingt da doch der Satz: „Da werden auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen.“ Ein Satz wie aus der Requisite eines Theaterstücks mit dem Titel „Operation Notstand – Komödie mit tödlichem Ausgang“.
Unangenehme Entscheidungen. Als hätte man sich beim Möbelkauf vergriffen. Als müsste man nun den Hund einschläfern lassen, weil die Couchbezüge nicht mehr zum Teppich passen. Diese entmenschlichte Formulierung, dieses „Sachzwangsprech“, ist das neue Vokabular der Empathieabschaffung.

Man wird sparen. Nicht bei Dienstwagen. Nicht bei Beraterverträgen. Nicht bei EU-Direktiven mit dreifacher Förderlogik. Sondern beim Überlebensnotwendigsten: bei der physischen und psychischen Grundversorgung der Bevölkerung.
Denn was ist ein Mensch, wenn er nicht zur Wirtschaftskraft beiträgt, wenn er nicht verteidigungsrelevant ist, wenn er alt, krank, gebrechlich ist? Ein Kassenposten. Ein Kostenfaktor. Ein Kollateralschaden im geopolitischen Planspiel.

Der Sozialstaat als freiwillige Leistung – wie früher das Sonntagsläuten

Früher, in der Nachkriegszeit, war der Sozialstaat das Versprechen, das aus Trümmern geboren wurde: Nie wieder sollte Not den Menschen seiner Würde berauben. Heute ist dieses Versprechen zum optionalen Feature geworden. Der Sozialstaat ist kein Grundpfeiler mehr, sondern eine Art Budget-Luxus – vorhanden, wenn es gerade passt. Abwesend, wenn Rüstungsexporte winken oder NATO-Vorgaben zwingen.

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Ironischerweise verteidigt man jetzt also die westlichen Werte – indem man sie demontiert. Man möchte die Demokratie schützen – durch die Entkernung ihrer sozialen Fundamente. Es ist, als würde man ein Haus gegen Einbrecher sichern, indem man die Bewohner hinauswirft und die Fenster zumauert.

Schlusspunkt: Eine Faust aufs Auge, getarnt als Handschlag

Man darf sich also nicht wundern, wenn der Bürger sich langsam fragt, wer hier eigentlich noch für wen da ist. Ob der Staat noch für den Menschen da ist – oder ob der Mensch nur noch das zu verwaltende Biomaterial eines sicherheitspolitischen Kostenplans darstellt. Wir investieren also in Panzer, aber kürzen bei Prothesen. Wir fördern Raketen, aber sparen bei Rheumamitteln. Wir rüsten uns gegen Bedrohungen von außen – und lassen die Bedrohung von innen, die soziale Spaltung, gewähren.

Das ist nicht nur zynisch. Das ist nicht nur verrückt.
Das ist: der ganz normale Wahnsinn einer Politik, die den Preis für Sicherheit ausgerechnet von jenen eintreiben will, die nichts mehr übrig haben – außer vielleicht dem Glauben, dass es irgendwann wieder um Menschen gehen könnte.

Doch wer diesen Glauben hat, der ist entweder naiv – oder schon lange nicht mehr CDU-Wähler. Vielleicht ist er noch Patient. Oder Rentner. Oder Pflegebedürftiger.
Also: überflüssig im neuen Bundeshaushalt. Und damit perfekt geeignet, um geopolitisch ausgeglichen zu werden.

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