Die Moral der Anderen

Es gibt in der modernen Welt gewisse Konstanten, an denen sich der westliche Zeitgeist festklammert wie ein politischer Talkshow-Moderator an seinem Narrativ. Eine davon ist die unerschütterliche Überzeugung, dass Reichtum an sich verdächtig ist, es sei denn, er gehört den Richtigen. Wer die „Richtigen“ sind, wird nicht anhand eines objektiven Kriterienkatalogs bestimmt, sondern durch den vagen, aber umso durchschlagenderen Konsens einer urbanen, akademischen, sich selbst als progressiv verstehenden Elite. Und hier beginnt die interessante Frage: Hätten all jene, die heute ein Problem mit Elon Musk haben, dasselbe Problem mit Bill Gates, wenn ein demokratischer Präsident regierte? Oder ist Moral eine Frage des Zeitgeistes, eine Maske, die sich nach Belieben umhängen lässt?

Die Guten, die Bösen und die Narrative

Nehmen wir Bill Gates. Jahrzehntelang war er der Darth Vader der IT-Welt, der monopolistische Überkapitalist, der Software zu einer Lizenzhölle gemacht hat, in der sich die Nutzer mit EULAs in der Länge von Tolstoi-Romanen herumschlagen mussten. Doch irgendwann, sagen wir ab der Zeit, als er anfing, mit seiner Stiftung gegen Malaria zu kämpfen und TED-Talks zu halten, wurde er zum Heiligen. Die Empörung über sein Wirtschaftsgebaren verdunstete unter der glänzenden Sonne wohltätiger Imagepflege. Als unter Barack Obama eine von Microsoft dominierte Digitalpolitik betrieben wurde, fanden das viele, die sich sonst über monopolistische Strukturen echauffieren, plötzlich ganz in Ordnung.

Dann kam Elon Musk. Ein Visionär, ein Unternehmer, ein Mann, der mit Tesla die Automobilbranche revolutionierte, mit SpaceX die Raumfahrt privatisierte und mit Twitter – pardon, X – das liberale Meinungsmonopol herausforderte. Musk war lange der Posterboy der Progressiven: Elektromobilität! Klimaschutz! Technologieoffenheit! Doch irgendwann begann der Bruch. War es, weil er sich weigerte, blind einer politischen Richtung zu folgen? Weil er sich über woke Ideologien lustig machte? Weil er Twitter kaufte und es wagte, dort Meinungsfreiheit neu zu definieren? Plötzlich war er nicht mehr der Held, sondern der Schurke. Dieselben Leute, die Gates früher als „Raubtierkapitalisten“ beschimpft hatten, lobten ihn nun für seine philanthropische Arbeit, während Musk, der faktisch eine umweltfreundlichere Zukunft geschaffen hat als tausend NGOs zusammen, als gefährlicher Oligarch betrachtet wurde.

TIP:  Alternativlos und anders

Die opportunistische Moral

Die Lektion? Es geht nie um das, was jemand tut, sondern darum, wer es tut und unter welcher Regierung er es tut. Hätte Musk sich brav in die Reihen der Wohlmeinenden eingefügt, seine Tweets auf eine harmlose Mischung aus Klimaschutzparolen und progressiven Gemeinplätzen beschränkt, er wäre weiterhin der gefeierte Tech-Messias. Wäre Gates hingegen als offener Kritiker des Establishments aufgetreten, hätte er auch heute noch seinen Ruf als verschlagenes Software-Monster. Stattdessen sehen wir eine Umkehrung: Musk ist der neue Schurke, Gates der geläuterte Elder Statesman des Digitalen. Ein Beweis dafür, dass Ideologie stets die Optik bestimmt.

Die Moral als Spielball der Macht

Die Frage ist also nicht: Ist Elon Musk ein guter oder schlechter Mensch? Oder: War Bill Gates früher ein Kapitalistenschwein und jetzt ein Philanthrop? Sondern: Wer bestimmt, welche Erzählung gilt? Die Antwort: Dieselben Kreise, die ihre Empörung je nach politischer Wetterlage ausrichten. Heute gilt Musk als gefährlich, weil er sich nicht an das Skript hält. Gates gilt als wohltätig, weil er es gelernt hat. Und die Masse plappert brav nach, was ihr vorgesetzt wird.

Es ist nicht die Moral, die sich wandelt, sondern die, die sie definieren. Und das ist die eigentliche Heuchelei.

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