
Man muss sich das politische Drama der Gegenwart in seinem vollen Ausmaß vorstellen: Da taumelt die Welt in ein neues multipolares Zeitalter, während Kriege, Krisen und Klimakollaps sich wie Aktienpakete um die Aufmerksamkeitsspitze der Medien kloppen – und just in dieser Kulisse atmet Europa auf, denn: Der Whiskey bleibt zollfrei.
Ja, richtig gelesen. Kein Scherz, kein metaphorischer Hustenanfall diplomatischer Natur – ganz real: Die Europäische Kommission, dieses wankelmütige Wesen zwischen Technokratie und Tagtraum, hat beschlossen, vorerst keine Strafzölle auf US-amerikanischen Bourbon zu erheben. Die erste Liste von Vergeltungsprodukten im transatlantischen Zollkrieg ist veröffentlicht – und siehe da: Der Whiskey wurde ausgeladen wie ein betrunkener Onkel von einer Familienfeier, bei der man endlich mal seriös wirken wollte.
Gerade noch mal Glück gehabt. Für die transatlantischen Beziehungen. Für die Happy Hour. Für jeden, der seine Welterklärung gerne mit einem rauchigen Unterton genießt.
Whiskey als Weltpolitik: Flüssiger Frieden in Eichenfässern
Denn machen wir uns nichts vor: Im postfaktischen Zeitalter, in dem Pressemitteilungen länger halten als Koalitionen, ist der Bourbon längst mehr als nur ein Destillat. Er ist Symbol, Seismograph und semiotischer Supergau zugleich. Wer ihn besteuert, legt die Axt an das transatlantische Narrativ, das da lautet: Freiheit, Gleichheit, Kater.
Strafzölle auf Bourbon wären nichts Geringeres als die rituelle Beleidigung des amerikanischen Mythos, der in jeder Flasche Jack Daniel’s mitverkorkt wird. Ein Angriff auf das heilige Gleichgewicht zwischen Mais, Eiche und Marktliberalismus. Und wer weiß – wäre es dazu gekommen, hätten sich womöglich ganze NATO-Gipfel in tränenreichen Whisky-Tastings aufgelöst. Stoltenberg mit feuchtem Blick über einem Glas „Knob Creek“. Macron, der versucht, einem texanischen Abgesandten das französische Konzept von „Appellation d’Origine Contrôlée“ zu erklären, während Ursula von der Leyen nervös mit einem Flaschenöffner spielt. Tragisch-komisch, hochprozentig.
Die Kommission und ihr Einkaufszettel der Eskalation
Natürlich hatte man – ganz EU-typisch – vorerst nur geplant. Es war, wie immer, alles in einem frühen Stadium, „eine von vielen Optionen“, „kein endgültiger Beschluss“, „Teil eines fortlaufenden Prüfprozesses“. Oder, wie man es in Brüssel nennt: ein halbfertiger Kompromiss in Kommasetzung.
Die ursprüngliche Strafliste war dabei ein Kuriositätenkabinett europäischer Wertewahrung: Harley-Davidson, Jeans, Erdnussbutter – kurzum, alles, was nach amerikanischer Folklore riecht. Dass der Whiskey es nun nicht mehr auf die Liste geschafft hat, ist keine sachliche Entscheidung, sondern ein kulturpolitischer Gnadenakt. Die EU sagt: Wir sehen eure Flugzeugsubventionen – aber wir nehmen euch nicht den Drink weg. Wir sind nicht barbarenhaft. Wir sind europäisch.
Kant hätte wohl gesagt: Das ist kategorischer Imperativ auf Kornbasis. Schiller hätte es besungen. Churchill hätte es gesoffen.
Die Rettung des Bourbons – oder: Der Alkohol als letzter Globalist
Was bleibt uns denn sonst noch, wenn alles andere auseinanderbricht? Die EU klebt am Zahnfleisch, das transatlantische Bündnis knirscht wie ein schlecht geölter Sargdeckel, und das Vertrauen in die regelbasierte Weltordnung ist ähnlich standfest wie ein belgischer Sommer. In solchen Zeiten braucht es stabile Konstanten. Und was wäre stabiler als 45 Volumenprozent in einer Glasflasche mit Sternenbanneretikett?
Bourbon ist der letzte Globalist, der noch in jeder Zunge Verständnis auslöst. Er kennt keine Zollgrenzen, nur Durststrecken. Er stellt keine geopolitischen Forderungen – nur gelegentlich das Gleichgewicht der Leber. Er ist weder rechts noch links, sondern ganz einfach: runter. Und das eint.
Darum ist es nur folgerichtig, dass man ihn aus dem Strafzollgewitter herausgehalten hat. Denn würden wir anfangen, Whiskey zu sanktionieren – was käme als Nächstes? Brieffreundschaften mit Kanada unter Genehmigungsvorbehalt? Moralabgaben auf Netflix-Serien mit unkorrektem Humorgehalt?
Europa, du alter Gentleman mit schwankender Hand
Natürlich muss man die EU an dieser Stelle auch loben – zumindest kurz, bevor man wieder in gewohnter Manier an ihr herumnörgelt wie ein Pariser Barkeeper an einem schlecht gemixten Manhattan. Es gehört Mut dazu, eine Drohkulisse aufzubauen und dann feierlich einen Rückzieher zu machen, der aussieht wie eine strategische Entscheidung. Europa ist in diesem Sinne der Gentleman unter den geopolitischen Akteuren: zu höflich zum Zuschlagen, aber stets bereit, die Waffe auf den Tisch zu legen und dabei bedeutungsvoll zu nicken.
Man kennt das von Familienfesten: Die Oma sagt, sie kommt diesmal wirklich nicht, wenn ihr wieder über Politik redet – steht dann aber trotzdem mit Kartoffelsalat in der Tür. So auch die Kommission: „Wir erheben Zölle, jawohl – aber nicht auf das Zeug, das uns gefällt. Wir haben ja schließlich auch unsere Prinzipien. Sie sind halt nur… selektiv.“
Schlussgedanke mit Schuss
Und so endet die Posse, wie sie begann: mit einem Verwaltungsakt, den niemand verstanden hat, aber alle mit einem kurzen Nicken akzeptieren – wie einen besonders absurden Theaterabend im Berliner Ensemble.
Der Whiskey bleibt frei. Die Würde des Freihandels ist gerettet. Europa zeigt sich einmal mehr als die Tante, die zwar droht, dir das WLAN abzudrehen, aber dann doch heimlich dein Handy auflädt, weil sie dich ja irgendwie doch lieb hat.
Gerade noch mal Glück gehabt.
Zum Wohl.