Die Euphorie der Apokalypse

„Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf!“ – Dieser Satz, irgendwo zwischen heiterer Naivität und beängstigender Selbstsicherheit, mutet an wie das Motto einer Generation, die voller Enthusiasmus den Bagger ans Fundament des eigenen Hauses setzt. Doch während Katrin Göring-Eckardt und ihre politisch gleichgesinnten Mitstreiter jubelnd die Sektkorken knallen lassen, gibt es Grund zur Sorge. Die Vision der Veränderung, so euphorisch sie auch propagiert wird, scheint weniger einer Renaissance der Vernunft als vielmehr einer dystopischen Schnitzeljagd durch die literarischen Albträume von Bradbury, Huxley und Orwell zu gleichen. Mit der Choreografie von Omas gegen Rechts hat das wenig zu tun – das Drehbuch stammt aus einer anderen Feder.

Willkommen in der Glühofenbibliothek

In Bradburys Fahrenheit 451 brennen Bücher, weil sie gefährlich sind. Sie enthalten Gedanken, Perspektiven und Wahrheiten, die das zarte Gemüt der Massen verstören könnten. Heute muss man keine Flammenwerfer mehr anlegen – ein Twitter-Shitstorm erledigt die Aufgabe effizienter, subtiler und vor allem: kostengünstiger. Das Canceln eines „falschen“ Gedankens ist die Lagerfeuerromantik der digitalen Neuzeit.

Doch wo bleiben die Feuerwehren, die das Löschen übernehmen sollen? Fehlanzeige. Sie sind längst selbst Teil des Spiels. Löschen wird nicht mehr buchstäblich verstanden – stattdessen brennen wir andere auf dem Scheiterhaufen moralischer Überlegenheit nieder. Wer wagt es noch, ein Buch zu schreiben, dessen erste Seite nicht mit einer Entschuldigung beginnt? „Ich entschuldige mich für alles, was ich jemals gesagt habe und noch sagen werde.“

Die sedierte Welt – Zwischen Soma und Smartwatch

Huxleys Brave New World hat uns gezeigt, dass Freiheit nicht immer mit Ketten geraubt wird. Manchmal geschieht es mit Zuckerbrot und einer gut abgestimmten Dosis chemischer Freude. In unserer Gegenwart ist das Soma digital. Wer braucht eine Droge, wenn der nächste Dopamin-Kick nur einen Like entfernt ist? Die Algorithmen wissen, was du willst, bevor du es weißt. Sie formen dein Weltbild, filtern deine Realität und, wenn nötig, sedieren dich mit einer endlosen Flut von Katzenvideos und moralischen Belehrungen in Form von Memes.

TIP:  Von Rentnern und Raketen

Huxley hätte sich das nicht träumen lassen: eine Welt, in der die Menschen ihre Unterdrückung nicht nur akzeptieren, sondern aktiv herbeisehnen. Gib ihnen WLAN, ein Abo bei Netflix und die Illusion, dass sie jeden Moment zu Aktivisten werden könnten – dann ist die perfekte Kontrolle erreicht. Man muss nur noch darauf achten, dass die Smartwatch pünktlich zum Fitnessprogramm piepst. Ein gesunder Körper für einen kranken Geist.

Das Ministerium für Wahrheit schreibt keine Satiren

Orwells 1984 warnt vor einem Überwachungsstaat, in dem Sprache und Geschichte manipuliert werden, um die Macht zu sichern. Was Orwell nicht voraussehen konnte: Die besten Wächter sitzen nicht in dunklen Kabinetten, sondern in uns selbst. Der moderne Mensch überwacht sich freiwillig – und zensiert sich, bevor andere es tun müssen. Es ist der totale Konformismus, die freiwillige Gleichschaltung aus Angst vor dem Shitstorm, dem Verstoß aus der Community, der Verbannung aus der Filterblase.

„Sprache schafft Realität“, sagen die neuen Sprachpolizisten, und das tun sie mit erschreckender Präzision. Worte werden umdefiniert, um ideologischen Bedürfnissen zu entsprechen. Meinungen werden aussortiert wie abgelaufene Milch. Der Unterschied zu Orwells Dystopie? Wir brauchen kein Ministerium für Wahrheit – wir sind es selbst.

Omas gegen Rechte, aber nicht gegen die Rechte

Die Generation, die das NS-Regime überlebt hat, würde wohl mit Verwunderung auf die Schilder ihrer selbsternannten Erben blicken. „Nie wieder!“ schreien sie, während sie gleichzeitig die Mechanismen der totalitären Kontrolle selbst übernehmen. Nein, nicht mit Stiefeln und Knüppeln, sondern mit Likes und Blocklisten. Wer anderer Meinung ist, wird nicht ins Lager gesteckt – man cancelt ihn einfach in den sozialen Netzwerken. Effektiver und sauberer.

Die Tragik dabei? Die Omas gegen Rechts scheinen zu glauben, sie stünden auf der richtigen Seite der Geschichte. Doch welche Geschichte? Die Geschichte wird nicht mehr geschrieben, sie wird gecancelt. Wo bleibt der Platz für Grautöne, für die Ambivalenz, die jede menschliche Existenz ausmacht? Sie wird ausradiert, weil die Welt nur noch aus Schwarz und Weiß bestehen darf.

TIP:  Wenn Geschichte zur Inszenierung wird

Das dystopische Experiment

Die eigentliche Pointe dieses Essays? Dass es niemanden interessieren wird. Die Transformation unseres Landes, unser Abgleiten in eine literarische Dystopie, geschieht nicht mit Pauken und Trompeten, sondern leise, schleichend und von uns selbst betrieben. Göring-Eckardts „drastische Veränderung“ ist längst in vollem Gange. Es braucht keinen autoritären Führer, keine Bücherverbrennung, keine chemischen Sedativa. Es reicht, wenn wir uns selbst überlassen bleiben – im Labyrinth der Algorithmen, im Wohlfühl-Kokon unserer moralischen Selbstgerechtigkeit.

Am Ende bleibt nur die Frage: Lässt sich dieser Zug noch aufhalten? Oder sind wir längst Passagiere in einer dystopischen Kreuzfahrt, bei der die Zielkoordinaten niemand hinterfragt, solange der Champagner kalt bleibt?

Die Antwort? Nun, vielleicht in einem weiteren Essay – wenn es bis dahin noch erlaubt ist.

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