Deutschlands digitales Asylchaos

Ein Land, eine Regierung, 600 Systeme

Deutschland, die führende Industrienation, das Land der Ingenieure, der pünktlichen Züge und der durchorganisierten Bürokratie, hat sich mal wieder selbst übertroffen. In der hohen Kunst des administrativen Stillstands und der digitalen Verweigerung. Das aktuellste Meisterwerk dieser kafkaesken Verwaltungsposse: Die 600 Ausländerbehörden, die, von Kiel bis Freiburg verstreut, zwar existieren, aber keineswegs miteinander sprechen. Jede für sich ein kleines Fürstentum mit eigenen Regeln, eigenen Programmen, eigenen Aktenbergen. Gemeinsam ergibt das: einen Flickenteppich des Chaos.

Wer ist wo? Niemand weiß es!

Man stelle sich vor, ein Land hat ein Migrationssystem, in dem niemand weiß, wer wo untergebracht ist, wo noch Platz ist, oder welche Kommune bereits aus allen Nähten platzt. Klingt absurd? Willkommen in Deutschland! Hier existiert keine bundesweite, zentrale Datenbank, die aufzeigt, wo Menschen untergebracht sind. Stattdessen verlässt man sich auf individuelle Excellisten, Telefonanrufe, Brieftauben oder wahlweise das Horoskop der Sachbearbeiter. Dabei könnte man fast Mitleid mit den Angestellten der überforderten Behörden haben, die mit Faxgeräten und Papierakten die moderne Migration verwalten sollen. Fast.

IT-Infrastruktur: Der Stolz des 19. Jahrhunderts

Die deutsche Verwaltung hat die Digitalisierung missverstanden. Während andere Länder biometrische Echtzeitdatenbanken nutzen, surft Deutschland in den unendlichen Weiten von Windows 95. Jedes Bundesland verwendet eine eigene Software, die nicht mit der der anderen kommunizieren kann. Niedersachsen nutzt Programm A, Bayern Programm B, Berlin schreibt noch mit der Schreibmaschine und in Brandenburg verschickt man Briefe per Postkutsche. Selbstverständlich gibt es keine standardisierten Schnittstellen. Das hat natürlich Vorteile: Hackerangriffe sind unmöglich, weil nichts digital ist.

Verantwortlich ist immer jemand anderes

Wie in jedem guten Bürokratiethriller existiert natürlich eine ausgetüftelte Verantwortungsdiffusion: Der Bund verweist auf die Länder, die Länder auf die Kommunen, die Kommunen auf das Universum. Ergebnis: Niemand ist zuständig, alle sind machtlos. Ein perfektes System der Untätigkeit, ein politisches Perpetuum mobile der Inkompetenz. Wer sich durch die 102 Seiten des internen Berichts mit dem harmlosen Titel „Nationaler Implementierungsplan“ (NIP) kämpft, entdeckt eine Liste voller Versäumnisse. Doch keine Sorge: Konsequenzen gibt es wie immer keine.

TIP:  Die geheimen Fäden der Macht

Die Lösung? Papier, Papier und noch mehr Papier

Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es nicht wenigstens eine Lösung parat hätte. Die Antwort auf die digitale Asylkrise? Mehr Papier! Noch mehr Formulare, noch mehr Durchschläge, noch mehr Stempel. Eine simple Wohnortänderung eines Asylbewerbers erfordert durchschnittlich fünf verschiedene Anträge, die von vier Stellen abgestempelt, in zwei Archiven abgelegt und nach sechs Monaten in einem Altpapiercontainer entsorgt werden. Fortschritt made in Germany.

Die Quadratur des Verwaltungswahns

Deutschland hat es wieder geschafft: Eine Krise verwalten, ohne sie zu lösen. Niemand weiß genau, wie viele Menschen wo untergebracht sind, die Behörden arbeiten nebeneinanderher, und die Regierung? Sie kündigt mit gewohnter Entschlossenheit „Prüfungen“ und „Runden Tische“ an. In ein paar Jahren wird man feststellen, dass sich nichts geändert hat. Aber bis dahin gibt es bestimmt schon einen neuen 102-seitigen Bericht. Man darf gespannt sein.

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