Der Staat in Watte, das Volk im Visier

Es gibt in der Geschichte der politischen Philosophie Momente, da blitzt für einen winzigen Augenblick so etwas wie Klarheit auf – wie ein Sonnenstrahl auf einem Haufen bürokratischer Knochen. Einer dieser lichten Momente war die Idee, dass Gesetze – man höre und staune – nicht dazu da sind, dem Staat ein angenehmes Arbeitsumfeld zu garantieren, sondern um seine Macht einzuhegen. Und tatsächlich: Grundrechte, Menschenrechte, Bürgerrechte – das klingt wie ein Arsenal an Schutzschilden für den Einzelnen, für das verletzliche, fehlbare, oft etwas ungewaschene Wesen namens „Bürger“, das zwischen Behörde und Budgetloch leicht zerrieben werden kann wie ein Marienkäfer zwischen zwei Gesetzeswalzen.

Doch siehe da: Wir leben in Zeiten, in denen man sich fragt, ob der Sinn des Grundgesetzes nicht doch eher darin besteht, dem Staat eine Ruhezone zu verschaffen, frei von störendem Widerspruch, nervigen Demonstrationen und Leuten, die partout ihre Meinung behalten wollen. Der Leviathan von einst, der gebändigt werden sollte, läuft heute wieder frei herum – allerdings mit Genderbroschüre, CO₂-Kompensation und DSGVO-konformer Kameraüberwachung im Gepäck.

Die neue Dialektik: Kritik ist Gewalt, Kontrolle ist Fürsorge

Früher war es einfach: Der Staat war stark, der Bürger schwach, also musste man den Bürger schützen. Heute ist der Bürger „radikalisiert“, sobald er gegen etwas protestiert, was sich als „alternativlos“ etikettiert hat – selbst wenn dieses Etikett nur über ein paar verwelkten politischen Bekenntnissen klebt wie ein Bio-Aufkleber auf einem tiefgefrorenen Atomkloß. Und so erleben wir eine rhetorische Umdrehung von bemerkenswerter Eleganz: Kontrolle wird zur Fürsorge erklärt, Überwachung zur notwendigen Maßnahme, Zensur zur Verteidigung der Demokratie.

Wer also etwa auf dem Marktplatz sagt, dass vielleicht nicht jede pandemiebedingte Maßnahme ein Ausbund von Weisheit war, wird nicht mehr als Bürger mit Meinung wahrgenommen, sondern als potenzieller Feind der staatlich autorisierten Wahrheit. Der Staat – das arme Ding – fühlt sich plötzlich „bedroht“. Und zwar nicht von Aufrüstung, Machtmissbrauch oder Lobbyismus, sondern von Bürgern mit Fragen.
Wir erleben: Das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit verwandelt sich in eine Art bedingte Leihgabe – zu nutzen nur in staatlich zugelassenen Rahmen. Eine Art Knäckebrotfreiheit: knusprig, aber brüchig.

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Das Menschenrecht als Baugenehmigung für Gehorsam

Natürlich, niemand will es so sagen – und das ist Teil des Spiels. Man redet von Verantwortung, gemeinschaftlichem Handeln, Vertrauen in die Institutionen. Und dabei schleicht sich eine stille Entkernung ein: Grundrechte werden zur moralischen Belohnung für staatstreues Verhalten. Wer sich benimmt, darf demonstrieren. Wer brav impft, darf reisen. Wer keine kritischen Fragen stellt, wird nicht unter Beobachtung gestellt.

Der ursprüngliche Sinn, dass diese Rechte explizit auch – oder gerade – gegen einen übergriffigen Staat gerichtet sind, verblasst wie ein ausgeblichener Wahlplakattext. Man hat das Grundgesetz nicht geschaffen, um eine administrative Komfortzone einzurichten. Es ist kein Safe Space für Ministerpräsidentenkonferenzen. Es ist ein Instrument, um den Staat zu fesseln, zu beschneiden, zu zähmen. Es ist – im besten Sinne – ein Maulkorb für Macht. Doch wehe dem, der das heute sagt. Der wird, je nach Lautstärke, als Populist, Schwurbler oder Verfassungsfeind markiert. Und dabei will er vielleicht nur erinnern, was ein Artikel 1 bis 20 eigentlich bezweckt.

Wenn das Recht schweigt, während der Staat spricht

Es ist ein interessantes Phänomen unserer Zeit, dass sich selbst die eloquentesten Verfassungsrechtler in einen Zustand reflexartiger Staatsapologie versetzen, sobald es darum geht, ob Maßnahmen „verhältnismäßig“ seien. Verhältnismäßig – dieses schöne Gummiwort! Es dehnt sich wie eine Yogalehrerin mit zweifelhafter Ausbildung, solange es nur nicht um die Verhältnisse geht, die tatsächlich Menschen schaden. Die Betroffenen? Kollateralschäden. Die Maßnahmen? Notwendig. Die Kritik? Antisozial.

Wer es wagt, die Zweck-Mittel-Verhältnisse umzukehren und zu sagen: Der Staat hat sich vor den Bürgern zu rechtfertigen, nicht umgekehrt, der gerät schnell in Erklärungsnot. Dabei müsste man eigentlich nur das Grundgesetz vorlesen. Nicht interpretieren. Einfach vorlesen.
Aber das ist heute eine radikale Handlung geworden – wie das laute Vorlesen eines verbotenen Märchens in einer Dystopie, in der die Hüter des Guten beschlossen haben, dass das Gute eben nur sie selbst bedeuten kann.

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Vom Untertan zum Verdächtigen

Früher war man ein Untertan, heute ist man ein potenzieller Gefährder. Der Unterschied? Man trägt keine Uniform mehr, sondern ein iPhone – das jeden Schritt meldet, jede Nachricht speichert, jedes Gespräch protokolliert. Der Fortschritt hat aus dem Untertan einen selbstverwalteten Datensatz gemacht. Der Staat muss heute keine Spitzel mehr schicken – er lässt uns einfach unsere Zustimmung selbst klicken.

Und währenddessen wird das Verhältnis zwischen Bürger und Staat leise, aber konsequent verschoben: Nicht mehr das Individuum ist schutzbedürftig – sondern der Staat. Der große, mächtige, millionenschwere Apparat fürchtet sich vor Telegram-Gruppen, Handzetteln und falschen Meinungen. Ein Kritiker wird zur „Bedrohung der demokratischen Ordnung“, während die tatsächliche Ordnung – mit all ihrer Exekutivmacht – sich in diffusem Antifaschismus wärmt, den sie als Tarnumhang für präventive Eingriffe nutzt.

Die Rückkehr der Souveränität – oder ihr letzter Gruß

Wenn der Staat sich vor seiner Bevölkerung fürchten muss, dann ist etwas faul. Aber wenn der Staat so tut, als müsse er sich fürchten, um die Bevölkerung zu disziplinieren – dann ist alles verloren. Die Umkehrung der Schutzrichtung, die pervertierte Lesart von Grundrechten als staatlicher Besitzstandsschutz, ist kein Missverständnis. Sie ist Strategie. Eine schleichende, höflich verkleidete, auf Paragrafen gestützte Strategie zur Immunisierung gegen Demokratie.

Und wir, die Bürger? Wir stehen daneben, mit verunsichertem Blick und FFP2-Maske im Gesicht, und fragen uns, ob wir das so wollen. Die traurige Antwort: Viele merken es gar nicht. Die schärfsten Gefängnisse sind die, deren Gitter aus „alternativlosen Maßnahmen“ bestehen. Die stillsten Diktaturen sind die, in denen man sich „frei fühlt“, solange man nichts sagt.

Das Grundgesetz ist ein Schutzschild – kein Schlagstock. Es wurde geschrieben, damit der Staat sich rechtfertigen muss. Nicht damit er durchregiert, solange es eine Mehrheit gibt, die gerade keine Lust auf Debatte hat. Wer das vergisst, verdient den nächsten autoritären Schub. Und diesmal wird er nicht in Uniform kommen, sondern im Hoodie, mit Regenbogenlogo und einer gut geölten Pressestelle.

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