
„Im Krieg stellt der Staat die Panzer, die Reichen das Kapital, und das Volk seine Kinder. Nach dem Krieg holt sich der Staat die Panzer zurück, die Reichen zählen ihren Profit, und das Volk trauert an den Gräbern seiner Söhne.“
Bevor die erste Kugel fliegt, fliegt bereits der erste Kommentar durch die Online-Redaktionen. Nicht das Maschinengewehr eröffnet das Schlachtfeld, sondern das Mikrofon. Noch während der erste Truppenverband seine Stiefel schnürt, hat das Feuilleton schon den Tonfall gewechselt – von kritisch zu patriotisch, von pazifistisch zu realistisch, von differenziert zu dringend. Die Meinungsmaschinerie marschiert immer zuerst. Ihre Munition? Sprachbilder, Narrative, Sätze wie „Wir dürfen jetzt nicht wegsehen“, „Es geht um unsere Werte“ und das unvermeidliche „Es gibt leider keine Alternative.“
Wie bequem sich die Parolen wiederholen lassen, wie elegant sich Komplexität in Schlagworten versenken lässt, das ist eine Kunstform, die im Krieg zur Blüte gelangt. Die Reichen investieren in die Rüstungsindustrie, die Mittelschicht in Meinungsabos, und die Unterklasse? Die liefert, wie eh und je, das Personal. Für das Bodenlose. Für das Blut.
Die Panzer glänzen, die Gewinne glänzen mehr
Es ist ein faszinierendes Schauspiel, wie schnell sich die industrielle Intelligenz einer Gesellschaft mobilisieren lässt, wenn es darum geht, Leben zu vernichten statt zu verbessern. Kein Geld für Schulen, Krankenhäuser, Sozialwohnungen – aber plötzlich Milliarden für „Sicherheitspakete“. Der Staat, vorher ein klammer Bittsteller beim Rententopf, wird zur spendablen Kriegsmaschine, großzügig ausgestattet mit Steuergeld und rhetorischem Pathos. Das Konjunkturpaket der Waffenlobby nennt sich dann „Sondervermögen“ – eine semantische Meisterleistung. Orwell lächelt, aus dem Grab heraus.
Doch während der Staat mit Betonköpfen über Budgetfragen streitet und die Panzer durch parlamentarische Drucksachen rollen, ist der wahre Sieg längst errungen – von denen, die nicht kämpfen müssen. Die Rüstungsaktien steigen steiler als je eine Friedensdividende. Und je länger der Krieg dauert, desto klarer zeigt sich: Der Markt liebt Blut. Solange es nicht das eigene ist.
Die Kinder des Volkes – Kanonenfutter mit Staatsangehörigkeit
Man spricht heute viel von Generationengerechtigkeit, wenn es um Renten, Klima oder Digitalisierung geht. Doch in Wahrheit kennt der Staat nur eine Form echter Gerechtigkeit: die Gerechtigkeit des Opferns. Wer jung ist, hat zu liefern. Früher: Arbeitskraft. Heute: Ideale. Morgen vielleicht wieder: Leben. Die jungen Männer – und Frauen, in Gleichstellung getrimmten Armeen längst inkludiert – dienen nicht mehr Gott oder dem Vaterland, sondern der geopolitischen Verantwortung, der Bündnistreue, der „regelbasierten Weltordnung“. Und wenn man ihnen erklären will, wofür sie eigentlich sterben sollen, dann bekommt man ein PDF. Zwölf Seiten NATO-Narrativ, ohne Fußnoten, aber mit Logo.
Die Uniform ersetzt nicht den Charakter, sie ersetzt die Verantwortung. Der Soldat, einst Symbol von Tapferkeit und Pflicht, ist heute vor allem: ein Konsument der Logik anderer. Geführt von Drohnen, dirigiert von Lobbyisten, bejubelt von Kommentatoren, verlassen von denen, die ihn hinschicken.
Und nach dem Knall? Das große Aufräumen beginnt
Wenn der Krieg vorbei ist – was immer das heißen mag in einer Zeit, in der Kriege nicht mehr erklärt und nie mehr offiziell beendet werden – kehrt der Staat zur Routine zurück. Er verschrottet das Gerät, bilanziert den Haushalt, kürzt die Sozialhilfe, vergisst die Veteranen. Die Reichen hingegen verschrotten nichts. Sie reinvestieren. In Rohstoffe, in Wiederaufbauverträge, in Erinnerungsnarrative. Man errichtet Stiftungen, denkt an „unsere Gefallenen“, baut Mahnmale, legt Kränze, gibt sich betroffen – doch niemals haftbar.
Und das Volk? Es steht an den Gräbern. Trägt Blumen, Tränen, Trauer – und die Last der Erzählung. Dass es „notwendig war“. Dass es „nicht anders ging“. Dass die Kinder nicht umsonst gestorben sind. Dabei sind sie genau dafür gestorben: für das Nichts. Für das Leere hinter den Begriffen. Für das Vakuum der Verantwortung.
Das Pathos der Macht – und das Schweigen der Geschichte
Kriege haben Konjunktur. Frieden ist wirtschaftlich schlecht verwertbar. Er bringt keine Schlagzeilen, keine Helden, keine Exportrekorde. Frieden ist die Zwischenphase zwischen zwei Investitionszyklen. Und so lernen wir wieder: Geschichte wiederholt sich nicht – sie wird einfach konsequenter ignoriert. Die Generation, die einst „Nie wieder Krieg“ auf ihre Banner schrieb, nickt heute Zustimmungswerte in Umfragen ab, solange die eigenen Kinder nicht einrücken müssen. Die Politsprache, verkommen zum Verwaltungsvokabular der Vernichtung, betreibt Schadensbegrenzung per Hashtag: #StandWith, #Solidarity, #DefendDemocracy – alles schön mit Flagge im Profil.
Und nun? Der große Konformismus als Tarnanzug
Der Wahnsinn hat sich gut getarnt. Er trägt jetzt Anzug, schreibt Essays, verteidigt moralisch Überlegenes mit tödlicher Konsequenz. Er kommt nicht mehr mit Stiefeln, sondern mit Buzzwords. Er ruft nicht mehr zum Heldentod auf, sondern zum Beitrag im „Sicherheitsdiskurs“. Jeder, der widerspricht, wird nicht widerlegt – er wird „problematisiert“, „relativiert“, „isolationistisch“ genannt. Der Konformismus ist nicht mehr obrigkeitshörig, sondern gesinnungsethisch durchgelüftet. Und das macht ihn umso gefährlicher. Denn wer glaubt, auf der Seite des Guten zu stehen, kann das Schlechte exzellent delegieren.
Der Tod als Gemeingut
Und so bleibt dem Volk nur das, was ihm immer geblieben ist: Die Rolle des Leidenden, Zahlenden, Trauernden. Während über ihm debattiert, unter ihm verdient und um ihn herum marschiert wird. Im Krieg stellt der Staat die Panzer, die Reichen das Kapital – und das Volk seine Kinder. Nach dem Krieg kehren nur zwei von dreien heim.
Der Panzer wird ins Museum gestellt. Das Kapital verzinst sich weiter. Und das Kind liegt still.