Der immer gleiche Tanz der Empörung

Die unverwüstliche Maschine der Betroffenheitsrhetorik

Da war er wieder, der Satz. Mit dem monotonen Schwung einer Pendeluhr, die ihren Läuten nicht müde wird. „Ich bin es leid“, sprach der Bundeskanzler, das Gesicht ernst, die Worte scharf wie ein Küchenmesser, das auf einem nassen Brotlaib gleitet. Es ist eine Formel, eine jener rituellen Äußerungen, die Politiker aus der untersten Schublade ihrer rhetorischen Hausapotheke ziehen, sobald das Land wieder einmal von einer Gewalttat erschüttert wird, deren Brutalität sich nur noch mit der Abgestumpftheit der offiziellen Reaktionen messen kann.

Natürlich, niemand erwartet, dass ein Kanzler bei jeder Tragödie das Rad der Sprache neu erfindet, geschweige denn, dass er spontan zu lyrischen Höhenflügen ansetzt. Aber dass ausgerechnet der Mann, der sich einst als „Scholzomat“ etablierte, mit der hölzernen Präzision einer schlecht programmierten KI in solchen Momenten immer wieder dieselbe Platte auflegt, ist beinahe eine Parodie auf sich selbst. Die Empörung scheint automatisiert, das Mitgefühl vorgefertigt, die Betroffenheit dergestalt routiniert, dass man sich fragt, ob sie inzwischen per E-Mail an die Presseagenturen versendet wird: Betreff: Mord in Aschaffenburg. Textbaustein: „Ich bin es leid.“

Die Bevölkerung, dieses kollektive Gesicht des Zorns

Und dann ist da „die Bevölkerung“, jenes sagenumwobene Konstrukt, das mit unverhohlener Häme in sozialen Netzwerken das Schweigen durchbricht. „Ich bin es leid“, tönt es zurück, diesmal nicht aus den glatten Kehlen der Macht, sondern aus den rauen Lungen der Frustrierten. Ein Zynismus, der ebenso alt ist wie berechtigt: Es ist das Lied derer, die sich längst nicht mehr in den Floskeln der Regierenden wiederfinden, weil diese so beliebig und austauschbar geworden sind wie die Kalenderblätter im Jahr.

Die Bevölkerung ist in ihrer Frustration durchaus kreativ. Sie dichtet, sie spottet, sie teilt Memes und macht sich lustig. Aber sie ist auch müde. Müde, weil die Welt eine Kirmes des Grauens ist, auf der die Karussells der Gewalt immer schneller drehen. Und wenn dann der Kanzler mit staatsmännischer Gravitas seinen Satz in die Welt schleudert, klingt es, als habe man einen Tropfen Essig in einen Ozean geschüttet und erwarte nun, dass die Wasserqualität messbar schlechter wird.

TIP:  Sicherheit durch Pflicht

Das unsichtbare Theater der Konsequenzen

„Ich bin es leid“ ist nicht nur ein Satz, es ist eine Absage. Eine Kapitulation. Ein Eingeständnis, dass man im Angesicht wiederkehrender Tragödien sprachlich und möglicherweise auch politisch blankgezogen wurde. Doch was folgt daraus? Wo bleibt der berühmte Satz, der einst Menschen mobilisierte: „So kann es nicht weitergehen!“? Stattdessen bleibt nur der Verweis auf bestehende Maßnahmen, die irgendwo zwischen Schreibtisch und Aktenschrank verdämmern.

Und ja, es wäre billig, hier ein umfassendes Maßnahmenpaket zu fordern, als könnten Bürokratie und Gesetzgebung das Übel an der Wurzel packen. Aber wie wäre es wenigstens mit dem Hauch eines ehrlichen Versuches? Mit einer Sprache, die die Menschen ernst nimmt, die betroffen ist, die mehr ist als eine semantische Wiederverwertung der immer gleichen Sätze? Die Realität verlangt nicht nach Floskeln, sondern nach Mut. Mut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, Verantwortung zu übernehmen und – jetzt halten Sie sich fest – tatsächlich zu handeln.

Satire ist, wenn man trotzdem lacht

Doch was bleibt uns, dem Publikum dieses grotesken Schauspiels? Wir könnten resignieren, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und unser Vertrauen in das politische System vollends verlieren. Oder wir könnten lachen. Lachen über die Absurdität, lachen über die Hohlheit der Worte, lachen über die groteske Tragikomödie, die sich Tag für Tag vor unseren Augen abspielt.

Denn, Hand aufs Herz, was bleibt uns anderes übrig? Womöglich ist Lachen die ehrlichste Form der Rebellion in einer Welt, die sich im Kreislauf von Gewalt, Betroffenheit und Passivität auflöst. Wir lachen nicht, weil es lustig ist, sondern weil die Alternative ein heilloses Schluchzen wäre. Und wenn wir den Kanzler das nächste Mal sagen hören, er sei es leid, könnten wir ihm mit einem Augenzwinkern zurufen: „Wir auch, Olaf. Wir auch.“

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