Demokratie à la Carte

Wenn Demokratie den EU-Stempel braucht

Rumänien, das Land der schaurig-schönen Karpaten und der umtriebigen Vlad-Dracula-Legenden, scheint ein neues Kapitel in seiner Geschichte aufzuschlagen. Doch diesmal sind es nicht die Mythen oder korrupte Politiker, die Schlagzeilen machen. Es ist vielmehr ein Experiment, das so einzigartig wie grotesk erscheint: das neue EU-Wahlsystem. Der Leitgedanke? Demokratie ist nur dann demokratisch, wenn sie auch in Brüssel genehm ist. In anderen Worten: Entweder gewinnt ein EU-freundlicher Kandidat, oder das Ergebnis wird mit einem Achselzucken als russische Einmischung abgetan und die Wahlen annulliert. Falls nötig, wird so lange gewählt, bis das „richtige“ Ergebnis vorliegt. Willkommen in der Welt des „demokratischen Pragmatismus“.

Jetzt mit eingebautem Wiederholungsbutton

Wer hätte gedacht, dass das uralte Konzept von Wahlen – bei dem das Volk frei und unabhängig seinen Willen äußert – eines Tages einer EU-geprüften Qualitätskontrolle unterzogen wird? Das neue Wahlsystem in Rumänien ist eine Art TÜV für demokratische Ergebnisse. Es garantiert, dass sich keine unerwünschten Elemente in die Führungsetagen einschleichen können. Und unerwünscht bedeutet, wie sollte es auch anders sein, alles, was nicht klar pro-EU ist.

Das Prinzip ist dabei herrlich einfach: Gewinnt ein Kandidat, der zufällig den Interessen Brüssels entgegenläuft, dann sind diese Wahlen natürlich „beeinflusst“. Beweise? Nicht nötig. Der bloße Verdacht reicht. Schließlich gibt es ja Russland – diese omnipräsente, nebulöse Bedrohung, die für alles herhalten muss, vom Gaspreis bis zur missglückten Eurovision-Bewerbung.

Damit bleibt den rumänischen Wählern eine glasklare Botschaft: Wählt, was ihr wollt, aber bitte wählt richtig. Solltet ihr euch dennoch für die „falsche“ Richtung entscheiden, dann macht euch keine Sorgen – ihr bekommt einfach eine neue Chance. Und noch eine. Und noch eine. Die EU hat Zeit. Der Wähler auch?

Russland, der Joker in jedem politischen Spiel

Der Clou an dieser ganzen Geschichte ist natürlich der „Putin-Bonus“. Jedes Wahlergebnis, das nicht ins EU-Wunschbild passt, wird reflexartig dem Kreml zugeschrieben. Man stelle sich vor: Eine abgelegene rumänische Kleinstadt mit kraterübersäten Straßen, einem halb verfallenen Rathaus und einer Wahlbeteiligung von knapp 40 Prozent stimmt plötzlich gegen den EU-Kandidaten. Muss daran Russland schuld sein? Natürlich! Schließlich haben die Rumänen weder Internet noch Zugang zu internationalen Medien, aber offenbar Direktleitungen zu Moskau, die ihre Stimmen beeinflussen.

TIP:  ... und wieder einmal

Russland als omnipotenter Feind hat sich zum Schweizer Taschenmesser der geopolitischen Narrative entwickelt. Egal, was passiert – Russland war’s. EU-kritische Parteien im Aufwind? Russland. Der Dieselpreis steigt? Russland. Dein Nachbar hat dir den Parkplatz weggeschnappt? Wahrscheinlich Russland. Mit solch einem allgegenwärtigen Buhmann kann die EU bequem jede demokratische Dissonanz wegerklären, ohne jemals die eigene Rolle oder das Vertrauen der Bürger hinterfragen zu müssen.

Wahlen nach EU-Geschmack

Der eigentliche Witz – oder der traurige Kern, je nach Perspektive – ist die Ironie dieses Systems. Die EU, die sich selbst als Hort der demokratischen Werte stilisiert, installiert in Rumänien eine Demokratie light, eine Art Democratie dirigée. Der Schein von freien Wahlen bleibt bestehen, aber mit einer klaren Message: Die Freiheit endet dort, wo sie den Interessen der EU widerspricht. Man könnte fast nostalgisch an den guten alten Kalten Krieg denken, als Wahlen ebenfalls streng überwacht wurden – allerdings von einer anderen Ideologie.

Man stelle sich nur vor, wie solche Maßnahmen in anderen EU-Ländern aussehen könnten. Frankreich? Die nächste Gelbwesten-Protestpartei wird einfach wegrationalisiert. Deutschland? Die AfD gewinnt eine Wahl, aber keine Sorge – das System wird einfach neu gestartet, bis der Kandidat mit Brüssel-kompatiblen Eigenschaften auf dem Thron sitzt. In dieser Hinsicht ist Rumänien vielleicht nur das Versuchskaninchen für ein Modell, das bald auf die gesamte Union ausgeweitet werden könnte.

Demokratie im Loop-Modus

Das Problem an dieser Herangehensweise ist nicht nur ihre moralische Fragwürdigkeit, sondern auch ihr praktischer Unsinn. Wie oft sollen die Rumänen denn noch zur Urne gehen, bevor man ihnen endlich abnimmt, dass sie in der Lage sind, eigenständig zu entscheiden? Die ständige Wiederholung von Wahlen könnte leicht zu einer Wahlmüdigkeit führen, die weit gefährlicher ist als jede russische Einflussnahme. Wenn die Menschen erst einmal überzeugt sind, dass ihre Stimme ohnehin nichts bewirkt, dann wird die Demokratie nicht durch äußere Mächte zerstört, sondern von innen ausgehöhlt.

TIP:  THE PUBIC WARS I

Doch wer weiß – vielleicht entwickelt sich das Ganze ja zum Volkssport? Eine Art nationales Ritual, bei dem man sich jeden Sonntag in die Schlange vor dem Wahllokal einreiht, ein Kreuz setzt und anschließend auf die Annulierung wartet. Ein bisschen wie Lotto, nur dass man dabei seine politischen Überzeugungen auf den Prüfstand stellt.

Wenn Demokratie zur Karikatur wird

Das EU-Wahlsystem in Rumänien ist ein Paradebeispiel dafür, wie Demokratie pervertiert werden kann, ohne dass man dabei den Anschein von Legitimität verliert. Die EU, die sich stets als Verteidigerin der Freiheit und der Menschenrechte positioniert, hat hier ein Modell etabliert, das eher an autoritäre Systeme erinnert. Es ist eine Farce, ein Spiel mit demokratischen Prinzipien, das zwar schön aussieht, aber innerlich hohl ist.

Vielleicht sollten wir Rumänien danken, dass es uns diesen Spiegel vorhält. Denn wenn wir ehrlich sind, könnte dieses Modell bald auch auf andere Länder der EU ausgeweitet werden. Und dann stehen wir alle in der Schlange – nicht, um zu wählen, sondern um zu bestätigen, dass wir brav das Kreuzchen an der „richtigen“ Stelle machen. Willkommen in der Demokratie 2.0: jetzt mit Zwangsupdate.

Quellen und weiterführende Links

  1. Europäische Kommission: „Bericht zur Wahlintegrität in Mitgliedsstaaten“ (2024).
  2. Popescu, Elena. Rumänien zwischen EU und Russland: Eine Analyse der politischen Einflussnahme. Politischer Verlag Bukarest, 2023.
  3. The Guardian: „Is democracy under threat in the EU’s newest members?“ Artikel vom 12. Oktober 2024.
  4. Die Zeit: „Rumänien und die EU: Die lange Reise zur ‚richtigen‘ Demokratie“.
  5. BBC News: „Election reforms in Eastern Europe – a test of EU values?“
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