Das perfekte Gefängnis

Von der Schönheit der Ketten

Es war ein sonniger Tag im Paradies, als der Mensch beschloss, frei zu sein. Doch wie es mit Paradiesen so ist, erkannte er bald, dass die Idylle eines makellosen Gartens nicht ohne Grenzen auskommt. Also setzte er sich hin, zog einen feinen Kreis um sich und erklärte voller Stolz: „Hier bin ich frei!“ Und so begann die Geschichte der Demokratie, dieses wundersamen Experiments, das sich wie eine süßlich duftende Blume in einem Garten voller Unkraut behaupten wollte – nur um zu vergessen, dass auch die Blume ihre Wurzeln in demselben Boden hat.

Die Demokratie, heißt es, sei die Herrschaft des Volkes. Doch was ist das Volk, wenn nicht eine amorphe Masse von Konsumenten, die sich mehr für die neue Staffel ihrer Lieblingsserie interessieren als für den Zustand der Welt? Und was ist diese Herrschaft anderes als die Illusion, dass die Stimmen der Vielen eine Macht hätten, die über die der Wenigen hinausginge? Hier liegt der erste Zaubertrick dieses Systems: Es lässt uns glauben, wir hätten die Kontrolle, während die Fäden längst woanders gezogen werden.

Konsum und Unterhaltung

Man stelle sich vor, eine Diktatur wolle sich modernisieren. Statt Gefängnisse zu füllen, Steuern zu erhöhen und Bücher zu verbrennen, investiert sie in Netflix, Amazon und die neueste Generation von Smartphones. Statt das Volk zu unterdrücken, gibt sie ihm die Freiheit zu wählen – zwischen 27 Sorten Chips und 34 Streaming-Plattformen. Warum Gewalt anwenden, wenn man die Aufmerksamkeit des Volkes so viel eleganter entführen kann?

Die Demokratie hat dieses Prinzip zur Perfektion erhoben. Sie ist ein Gefängnis ohne Mauern, weil niemand darin die Notwendigkeit verspürt auszubrechen. Der Schlüssel dazu liegt in der Konsumkultur, diesem Opium des modernen Menschen, das nicht nur betäubt, sondern eine tief empfundene Abhängigkeit erzeugt. Es ist nicht mehr die Polizei, die den Bürger zur Arbeit zwingt, sondern die bloße Existenz der neuesten iPhone-Generation. Und während der Bürger sich überlegt, welche AirPods er sich leisten kann, hat er längst vergessen, dass es in der Demokratie um mehr gehen sollte als um Kaufentscheidungen.

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Ein Ritual ohne Bedeutung

Alle paar Jahre darf der Bürger seine Stimme abgeben – und fühlt sich großartig dabei. Es ist der heilige Moment der Demokratie, dieser seltsame Karneval, bei dem Menschen mit Kugelschreibern bewaffnet Schlachten schlagen, die bereits vor Monaten entschieden wurden. Wer in diesem Theaterstück eine Hauptrolle spielt, ist irrelevant; die Handlung bleibt dieselbe.

Natürlich wird uns eingeredet, dass jede Stimme zählt, dass jede Wahl die Richtung ändern kann. Aber in Wirklichkeit ähnelt dieser Vorgang eher einem Tanz auf einem Schachbrett, auf dem alle Felder bereits besetzt sind. Der Bürger wählt nicht zwischen Alternativen, sondern zwischen Varianten desselben Systems, das sich selbst erhalten will. Links, rechts, grün, gelb – die Farbe der Wand, die uns umgibt, mag sich ändern, aber die Wand bleibt.

Die Tyrannei der Mehrheit

Und hier, liebe Leser, kommen wir zu einem weiteren Paradoxon: Die Demokratie, die sich ihrer Vielfalt rühmt, unterwirft sich der Tyrannei der Mehrheit. Was die Mehrheit will, wird Gesetz – selbst wenn die Mehrheit nur will, dass die nächste Supermarktkette noch näher an ihrem Wohngebiet gebaut wird. Dies ist das Dilemma der Demokratie: Sie kann keine Visionen haben, weil Visionen selten mehrheitsfähig sind.

Die großen Utopien, die kühnen Ideen, die Fortschritte der Menschheit – sie alle entstanden nicht aus dem Konsens der Vielen, sondern aus der Unbeugsamkeit der Wenigen. Doch in der Demokratie, diesem System der Mittelmäßigkeit, gilt die Regel: Nichts darf so außergewöhnlich sein, dass es den Durchschnitt übersteigt.

Die Freiheit zu scheitern

Aber seien wir ehrlich: Was wäre die Alternative? Eine offene Diktatur, in der wir nicht einmal den Anschein von Freiheit genießen? Oder ein Anarchismus, der so radikal frei ist, dass er an der eigenen Unordnung scheitert? Vielleicht ist die Demokratie tatsächlich das beste System, das wir haben können – nicht, weil sie perfekt ist, sondern weil wir es sind, die unvollkommen sind.

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Doch ist das ein Grund, den Status quo zu feiern? Ist es nicht vielmehr eine Einladung, die scheinbaren Mauern dieses Gefängnisses zu erkennen und zu durchbrechen? Vielleicht liegt die wahre Freiheit nicht darin, zu wählen, sondern darin, zu verstehen, dass es mehr gibt als das, was uns vorgegaukelt wird.

Ein Augenzwinkern aus der Zelle

Und so bleibt uns nur, über dieses absurde Theater zu lachen, während wir uns in den Spiegel sehen und fragen: Sind wir wirklich frei, oder nur die besten Dressurpferde, die die Welt je gesehen hat? Vielleicht liegt die größte Ironie der Demokratie darin, dass sie uns die Freiheit gibt, uns selbst zu betrügen – und wir diese Freiheit nur zu gerne annehmen.

Aber hey, zumindest haben wir Netflix.

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