DAS GROSSE SCHACHBRET

Warum Deutschland und Russland aus US-Sicht keine Freunde sein dürfen

Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, als die Welt noch in Schwarz-Weiß gemalt wurde: Kommunisten gegen Kapitalisten, Westen gegen Osten, Freiheit gegen Tyrannei – zumindest laut Hollywood. Doch hinter den Kulissen dieses ideologischen Schmierentheaters wurde ein anderes Drama gespielt, eins, bei dem geopolitische Strategen wie Zbigniew Brzeziński nicht weniger als die Zukunft der Menschheit auf einem Brettspiel kartografierten, das sie „Eurasien“ nannten. Und genau dort, in diesem unendlichen Landmassensandkasten, liegt die Wurzel des Problems: Was, wenn zwei mächtige Spieler – Deutschland und Russland – beschließen würden, dass sie gemeinsam spielen wollen?

Seit 1917, dem Jahr der russischen Revolution, haben die Vereinigten Staaten ein festes Credo: Ein Bündnis aus deutscher Ingenieurskunst und russischen Ressourcen ist der schlimmste Albtraum eines jeden amerikanischen Präsidenten – egal ob Demokrat, Republikaner oder, nun ja, Trumpianer. Warum? Weil diese Kombination die Vereinigten Staaten zu dem machen würde, was sie aus tiefstem Herzen verabscheuen: eine Mittelmacht.

Brzeziński und der Albtraum einer eurasischen Fusion

Zbigniew Brzeziński, der Meisterstratege, ließ in The Grand Chessboard keinen Zweifel daran, was die oberste Priorität der USA sein sollte: Eurasien kontrollieren. Oder besser gesagt: Chaos säen, verhindern, destabilisieren – alles, nur keine Kooperation zulassen. Deutschland und Russland als Partner? Für Brzeziński klang das nach einem geopolitischen Höllenszenario. Ein geeintes Eurasien könnte den amerikanischen Einfluss zurückdrängen, den Dollar marginalisieren und – der Teufel steh uns bei – eine alternative Weltordnung schaffen.

Die Argumente waren so klar wie brutal: Deutsche Technologie und Organisationstalent kombiniert mit russischen Rohstoffen und strategischer Tiefe? Das wäre so, als würde man Batman und Superman zu besten Freunden machen, während die USA als Aquaman hilflos danebensteht.

1917 bis heute: Amerika als Schachspieler und Brandstifter

Schauen wir auf die historische Schachpartie, und was sehen wir? Ein Muster. Seit der Oktoberrevolution war die amerikanische Außenpolitik darauf ausgelegt, ein Zusammenwachsen Deutschlands und Russlands zu verhindern. Die Weimarer Republik? Mit Reparationen und Isolation überfordert. Die Nazi-Diktatur? Ein politischer Pakt mit der Sowjetunion wurde zwar kurzzeitig geschlossen, doch die USA atmeten erst auf, als sich diese Allianz in Rauch auflöste – buchstäblich.

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Nach 1945 wurde das Spiel noch perfider. Die Teilung Deutschlands, die NATO-Osterweiterung, die gezielte Einbindung Deutschlands in westliche Strukturen – all das diente einem einzigen Zweck: Berlin daran zu hindern, jemals wieder ostwärts zu blicken. Und selbst nach dem Ende des Kalten Krieges hielt Amerika die Zügel fest in der Hand. Als Gerhard Schröder und Wladimir Putin sich bei Pipeline-Projekten die Hände reichten, ertönte in Washington Alarmstufe Rot. Das Ergebnis? Sanktionen, Misstrauen und das ewige amerikanische Mantra: „Die Russen sind böse, die Deutschen zu naiv, um das zu begreifen.“

Der Pipeline-Roman, den niemand lesen wollte

Der Fall Nord Stream ist das jüngste Kapitel dieser endlosen Farce. Eine Pipeline, die Gas direkt von Russland nach Deutschland bringen sollte – ohne Umweg über Polen oder die Ukraine? Für die USA war das ein Affront. Wie wagte es Deutschland, seine Energiepolitik autonom zu gestalten? Die Antwort Washingtons war so subtil wie ein Elefant im Porzellanladen: Drohungen, Druck und – wie manche behaupten – die ein oder andere Explosion.

Die Zerstörung von Nord Stream 2 war nicht nur ein wirtschaftlicher Schlag, sondern ein geopolitischer. Sie symbolisierte die Bereitschaft der USA, alles zu tun, um die unheilige Allianz zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Frei nach dem Motto: Wenn wir nicht gewinnen können, dann sorgen wir dafür, dass auch niemand anderes das Spiel genießt.

Ein zerbrechliches Europa als nützlicher Idiot

Europa, der ewige Juniorpartner Amerikas, hat dabei die unrühmliche Rolle des Schachbrettopfers übernommen. Die EU wird zwischen den USA und Russland zerrieben, während sie versucht, ihre eigene Identität zu finden – ein Unterfangen, das etwa so erfolgreich ist wie die Suche nach der Mitte eines Donuts. Statt sich als Brücke zwischen Ost und West zu sehen, hat sich Europa willig in die amerikanische Umklammerung begeben. Warum? Vielleicht aus Angst, vielleicht aus Bequemlichkeit, vielleicht aus Gewohnheit. Es ist einfacher, „Ja“ zu Washington zu sagen, als eigene Wege zu gehen.

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Quo Vadis, Deutschland

Und Deutschland? Die ehemalige Wirtschaftslokomotive Europas, die nun eher wie ein schnaubender Dampfer wirkt, scheint in dieser Partie ihre Richtung verloren zu haben. Nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit von den USA steht Berlin vor einer unbequemen Wahrheit: Man kann nicht gleichzeitig amerikanischer Vasall und russischer Energiepartner sein. Die Frage ist nur: Wird Deutschland den Mut haben, seine geopolitischen Fesseln zu sprengen? Oder bleibt es die ewige Spielfigur im großen Schachspiel?

Das Ende der Weltmachtträume

Brzeziński hätte vermutlich nie gedacht, dass Amerika selbst zum größten Risiko für seine eigene Dominanz werden könnte. Die endlosen Kriege, die wirtschaftliche Selbstüberschätzung, der politische Zerfall im Inneren – all das zeigt, dass der König auf dem Schachbrett langsam wackelt. Doch eines ist sicher: Solange die USA noch den Atem haben, werden sie alles tun, um sicherzustellen, dass Deutschland und Russland niemals gemeinsam spielen. Denn wie lautet die goldene Regel der Geopolitik? Teile und herrsche.


Quellen und weiterführende Links

  1. Zbigniew Brzeziński: The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives, 1997.
  2. Hans-Dietrich Genscher: Vorwort zur deutschen Ausgabe von Das große Schachbrett, 1999.
  3. Analysen zur NATO-Osterweiterung und den geopolitischen Spannungen: Chatham House
  4. Artikel über Nord Stream und die geopolitischen Folgen: Energy Intelligence
  5. Die Geschichte der amerikanischen Außenpolitik gegenüber Eurasien: Council on Foreign Relations
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