
Die Demokratie verteidigen und retten – indem man sie ignoriert?
Es ist eine schöne Vorstellung: Demokratie als Debattierklub, in dem Argumente aufeinanderprallen wie Florettklingen, während das Publikum staunend zusieht, wie die Wahrheit triumphierend aus der Arena emporsteigt. Doch was, wenn eine der „Klingen“ eher einem Vorschlaghammer gleicht, der nicht nach Wahrheit, sondern nach Zerstörung trachtet? Genau hier, an dieser spannenden und brüchigen Stelle, beginnt unser Drama.
Robert Habeck, der grüne Kanzlerkandidat, hat entschieden, die Bühne des demokratischen Diskurses zu einem Schauplatz seiner Abwesenheit zu machen. Er weigert sich, in einem von ARD und ZDF geplanten Fernsehduell mit Alice Weidel, der Kandidatin der AfD, aufzutreten. Ein Akt der Verweigerung, der gleichzeitig als symbolisches Bollwerk gegen den politischen Extremismus und als Armutszeugnis für die demokratische Kultur gelesen werden kann. Doch halt, bevor wir das Urteil fällen, werfen wir einen Blick auf die Abgründe und Höhenflüge dieser Entscheidung.
Dialog als demokratische Pflicht – oder doch nicht?
„Demokratie lebt vom Diskurs“, so lautet die wohlbekannte Phrase, die Politiker aller Couleur gerne wie ein Mantra wiederholen. Doch gilt das auch für jene, die den Diskurs selbst in Frage stellen? Ist es moralisch vertretbar, sich mit jemandem an einen Tisch zu setzen, dessen politische Agenda auf Spaltung, Hetze und gezielter Desinformation beruht?
Habecks Entscheidung, nicht mit Weidel zu diskutieren, kann als Schutz der demokratischen Grundwerte interpretiert werden. Man könnte argumentieren, dass er einer Inszenierung keinen Raum geben will, in der Fakten gegen Provokationen und Polemik ausgetauscht werden wie ungleiche Währungen. Die Demokratie, so sagen ihre Verfechter, hat nichts zu gewinnen, wenn sie mit jenen diskutiert, die sie in den Abgrund stoßen wollen. Doch hier lauert die Ironie: Kann man die Demokratie wirklich retten, indem man ihre zentralen Mechanismen – den offenen Dialog – außer Kraft setzt?
Das TV-Duell als Gladiatorenkampf
Fernsehdebatten, so will uns die Medienindustrie glauben machen, sind Höhepunkte demokratischer Kultur. Doch Hand aufs Herz: Wer glaubt wirklich, dass diese Duelle dazu dienen, die Wähler mit Argumenten zu überzeugen? Es geht um die Show, um den Schlagabtausch, um Soundbites und Emotionen.
Habeck weiß vermutlich genau, dass Alice Weidel weniger auf Argumente setzt als auf kalkulierte Provokation. Sie will ihre Anhänger mobilisieren, ihre Gegner entnerven und die Bühne für ihre Agenda nutzen. Und er? Er will sich dieser Inszenierung nicht aussetzen. Aber damit überlässt er genau diese Bühne der AfD – und zwar unkommentiert. Was bleibt, ist eine leere Tribüne, auf der Weidel nach Belieben ihren Monolog führen kann. Ist das die demokratische Strategie, auf die wir bauen wollen?
Die Feigheit vor dem Mikrofon
Die Entscheidung, ein Gespräch zu verweigern, wird gerne als Haltung verkauft. Doch seien wir ehrlich: Sie riecht nach Feigheit. Denn nichts zeigt mehr Selbstbewusstsein als der offene Austausch, nichts entlarvt populistische Parolen effektiver als das Licht der Argumente. Habeck und seinesgleichen könnten mit scharfen Analysen, klugen Einwürfen und faktenbasierten Widerlegungen der AfD die Grenzen aufzeigen. Stattdessen bleibt das Bild eines Politikers, der sich dem direkten Schlagabtausch entzieht – und damit die AfD unfreiwillig stärkt.
Denn das Schweigen des einen ist immer das Echo des anderen. Weidel wird Habecks Abwesenheit als Sieg verkaufen, als Beweis für die angebliche „Angst der Altparteien“. Der Versuch, sie zu ignorieren, macht sie nicht unsichtbar – im Gegenteil. Die Verweigerung wird zum Futter für die populistische Erzählung, dass die „etablierten Politiker“ keine Antworten auf die „wahren Probleme“ der Bürger hätten.
Das Schweigen als demokratische Strategie?
Habecks Entscheidung wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wie geht man mit Feinden der Demokratie um? Gibt man ihnen eine Bühne und riskiert, dass sie diese für ihre Propaganda nutzen? Oder verweigert man den Dialog und riskiert, dass man selbst als undemokratisch wahrgenommen wird?
Es ist ein Dilemma, das keine einfache Antwort zulässt. Doch eines ist sicher: Demokratie ist kein Garten, den man durch Einzäunen schützt. Sie ist ein offenes Feld, das von den Wurzeln des Dialogs lebt. Wer die Diskussion verweigert, kappt diese Wurzeln – und lässt das Feld der politischen Landschaft unbewirtschaftet zurück.
Am Ende der Demokratie oder am Anfang eines besseren Diskurses?
Vielleicht, liebe Leserinnen und Leser, ist die Lösung eine andere. Vielleicht müssen wir akzeptieren, dass Demokratie ein schmutziges Geschäft ist, in dem auch die unliebsamsten Stimmen gehört werden müssen – nicht, weil sie recht haben, sondern weil wir beweisen müssen, dass wir sie entkräften können. Oder, um es mit einem Augenzwinkern zu sagen: Demokratie ist wie eine schlechte Fernsehshow. Manchmal muss man sich die schlimmsten Szenen ansehen, um die besten Momente zu erleben.