Das demokratische Paradoxon

oder wie man einen Elefanten im Raum unsichtbar macht

Es gibt Strategien, die sind so raffiniert, dass sie in ihrer Brillanz fast wieder dümmlich wirken. Die Methode, eine unliebsame Partei einfach zu ignorieren, auszugrenzen und in eine Art politisches Vakuum zu verbannen, ist eine davon. In der deutschen Demokratie des 21. Jahrhunderts hat sich genau dieses Verfahren als probates Mittel etabliert, um sich eines Problems zu entledigen, indem man es demonstrativ nicht sieht. Oder besser gesagt: indem man so tut, als wäre es ein unsichtbares Gespenst, ein kontaminiertes Element, dessen bloße Erwähnung bereits toxische Dämpfe freisetzen könnte.

Der Bundestag als Hochsicherheitstrakt der Moral

Man könnte fast meinen, der Bundestag sei ein Hochsicherheitstrakt der moralischen Reinheit geworden. Hier drinnen nur die „Guten“, dort draußen (oder zumindest in einer symbolischen Quarantäne) die „Bösen“. Dumm nur, dass 152 Abgeordnete der AfD einfach nicht kleinzukriegen sind, weil sie – und das ist die eigentliche Unverschämtheit – demokratisch gewählt wurden. Sie sitzen nun einmal da, mitten im Plenarsaal, von der rechten Seite aus bis tief in die Mitte hineinragend, eine unübersehbare Tatsache, die man jedoch mit aller Gewalt unsichtbar machen möchte.

Nun hat man sich allerlei Tricks ausgedacht, um das Problem zu lösen. Der erste und vielleicht eleganteste dieser Kniffe bestand darin, kurzerhand die Geschäftsordnung des Bundestags zu ändern. Früher war es Usus, dass der älteste Abgeordnete als Alterspräsident die erste Sitzung eröffnete. Das mag altmodisch sein, aber es hatte Tradition. Blöd nur, dass diese Regel dazu geführt hätte, dass 2017 Alexander Gauland diese Ehre zuteil geworden wäre. Also änderte man die Vorschrift, sodass nicht mehr der älteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete das Amt übernahm. Eine „Lex AfD“, könnte man sagen. So durfte statt Gauland Gregor Gysi von der Linkspartei ans Rednerpult treten, ein Mann, dessen rhetorische Schärfe unbestreitbar, aber dessen politisches Erbe mindestens diskussionswürdig ist.

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Vizepräsident? Nein, danke!

Es gehört zum parlamentarischen Brauchtum, dass jede Fraktion einen Bundestagsvizepräsidenten stellt. Das klingt logisch, ist aber nur so lange praktikabel, wie alle Beteiligten genehm sind. Die AfD hat bislang konsequent keinen ihrer Kandidaten durchgebracht. Der neueste Fall: Gerold Otten, ein Mann, der dreimal an der Wand des Widerstands zerschellte, weil die anderen Fraktionen schlicht nicht für ihn stimmen wollten. Das ist einerseits legal, andererseits könnte man sich fragen, was das über die Demokratie aussagt, wenn eine Partei mit 152 Abgeordneten nicht einmal eine zeremonielle Funktion besetzen darf.

Die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic erklärte dazu mit strengem Blick, dass die AfD mit ihrer Kritik an dieser Praxis „parlamentarische Prozesse diskreditiere“ und die „Würde des Hauses“ störe. Es ist eine bemerkenswerte Argumentation: Wer sich darüber beschwert, systematisch ausgeschlossen zu werden, gefährdet also die Demokratie? Das ist ungefähr so, als würde man einem Fußballteam, dem man alle Tore zunagelt, vorwerfen, es schade dem Spiel, weil es sich über die Ungerechtigkeit beschwert.

Demokratie – aber bitte nur mit den Richtigen

Die Strategie der demonstrativen Ausgrenzung könnte funktionieren, wenn sie nicht so sichtbar absurd wäre. Die AfD ist kein Virus, den man durch Nichtbeachtung austrocknen kann. Sie ist ein politisches Phänomen, das sich nicht in Luft auflöst, nur weil man so tut, als existiere es nicht. Im Gegenteil: Diese Form der taktischen Ignoranz wirkt vielmehr wie eine Bestätigung für ihre Anhänger, dass das System tatsächlich etwas gegen sie hat – ein Geschenk für jede Protestpartei.

Eine wehrhafte Demokratie zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie politische Gegner aus dem Parlament verbannt oder deren Existenz leugnet, sondern dadurch, dass sie sich mit ihnen argumentativ auseinandersetzt. Die Strategie der Ausgrenzung mag bequem erscheinen, sie ist aber letztlich ein Armutszeugnis für eine parlamentarische Demokratie, die sich ihrer eigenen Stärke nicht mehr sicher zu sein scheint.

Der Elefant im Raum bleibt also weiterhin sichtbar. Und er wächst mit jeder Wahl weiter.

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