Brüssel spricht – und die Welt zittert nicht

Ein Knall. Kein physischer, aber ein rhetorischer. EU-Kommissarin Virkkunen, keine Rampensau, aber eine Funktionärin mit Haltung, tritt vor die Presse. Sie sagt Sätze wie: „Wir werden unsere Regeln durchsetzen.“ Es klingt ein bisschen wie: Ich zähle jetzt bis drei! Und man fragt sich: Glaubt sie das wirklich? Denn während sie mit steinerner Miene Apple, Meta und Elon Musks anarcho-digitale Spielwiese X ins Visier nimmt, blättert irgendwo in Cupertino ein Compliance-Praktikant gelangweilt durch die E-Mails. Facebooks Algorithmus hebt kurz ein digitales Auge, zuckt mit der Schulter, und TikTok tanzt derweil einfach weiter. Die EU spricht – und der Wahnsinn des Netzes murmelt: Wie süß.

Die Strafanzeige als Geste der Weltethik

Man kennt sie, diese Nachrichten: „Die EU leitet Verfahren ein.“ „Die EU warnt.“ „Die EU sendet ein klares Signal.“ Ach, Signale! Brüssel, diese postbürokratische Wunschfabrik mit Renaissancefassade, schickt seit Jahrzehnten Signale in alle Himmelsrichtungen. Man könnte meinen, sie sei ein Leuchtturm der Weltvernunft – doch leider ist sie meist ein Glühwürmchen in der globalen Datenflut. Virkkunen will jetzt also durchgreifen. Verfahren wegen Wettbewerbsverstößen. Wegen zu laxer Moderation illegaler Inhalte. Man hört fast das Tosen der Empörung aus dem Altbau am Berlaymont. Und gleichzeitig – die mediale Unterschrift darunter ist stets: Wir können auch anders. Das Problem ist nur: Sie tun es nicht.

Denn was bedeutet schon „durchsetzen“ in einem Raum, in dem die Tech-Giganten größer sind als viele Mitgliedsstaaten? Wenn Google mehr über unsere Bürger weiß als die Kommunalverwaltung in Wanne-Eickel? Wenn X ein Ex ist, das trotzdem jeden Morgen betrunken im Wohnzimmer steht und lautstark über Meinungsfreiheit diskutiert, während der Hausherr Brüssel milde lächelt und murmelt: Bitte nicht nochmal posten.

Die Mär von der digitalen Souveränität

Die EU, so hört man immer wieder, wolle „digitale Souveränität“. Ein hübscher Begriff. So wie „transatlantisches Gleichgewicht“ oder „klimaneutrales Wachstum“. Man stellt sich darunter eine Art europäisches Internet mit Pastellfarben, Datenschutz, literarischen Tweets und wohldosierter Meinungsvielfalt vor. Ein Ort, wo der Algorithmus Rücksicht nimmt, die Nutzer freiwillig der Faktenprüfung zustimmen und niemand jemals die Kommentarspalte verlässt, um einen Journalisten zu bedrohen. Eine schöne Vorstellung. Etwa so realistisch wie ein veganer Schweinsbraten.

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In Wahrheit bedeutet „digitale Souveränität“ oft: Wir verbieten, was wir nicht verstehen. Oder wir erlassen Regeln für Plattformen, die ihre Server ohnehin außerhalb der EU parken, mit einem mittleren Finger auf dem Atlantik. Die Ankündigungen sind oft die Umsetzung. Der Rechtsrahmen wird gebaut wie der Berliner Flughafen: detailliert, teuer, überzogen – aber die Flugzeuge starten längst woanders.

Zuckerbergs Grinsen und Musks Mittelfinger

Und was machen Meta, Apple, Musk & Co, während Brüssel sich moralisch aufplustert? Sie grinsen. Sie lobbyieren. Sie investieren. Und sie spielen das Spiel. Apple murmelt „privacy“ mit heiserer Stimme und kassiert trotzdem an jedem Abo mit, das über die eigene Infrastruktur läuft. Meta gelobt Transparenz und trainiert gleichzeitig KIs mit Milliarden Userdaten. Elon Musk? Er schaltet Werbebanner in Brüssel – und twittert ein Meme, in dem die EU ein trauriger Clown ist.

Die Tech-Konzerne sind keine Konzerne mehr – sie sind de-facto-Gewalten. Staatssimulationen mit Terms & Conditions. Musk betreibt eine Meinungsplattform wie ein Herrscher einen Hofstaat. Zuckerberg will mit seinem Metaverse nicht weniger als die zweite Realität erschaffen. Und Brüssel steht daneben, wedelt mit der DSA und ruft: Hier ist das Recht!

Der Kontrollstaat ohne Serverfarm

Das Absurde ist: Die EU hat gar kein echtes Instrumentarium. Ihre Stärke ist das Regelwerk, nicht der Vollzug. Es ist ein bisschen wie ein Streifenpolizist mit einem Zitatenschatz, der einen Drogendealer zur Reue überreden will. Natürlich: Man kann Bußgelder verhängen, kann Verfahren anstrengen. Man kann auch ein Lied darüber singen. Doch am Ende läuft die Musik nicht aus Brüssel, sondern aus dem Silicon Valley. Und der DJ trägt Hoodie.

Selbst wenn ein Verfahren gewonnen wird – dauert es Jahre. Bis dahin hat Apple drei neue Datenschutzrichtlinien erfunden, Meta zwei Plattformen abgeschaltet und Musk die Meinungsfreiheit abgeschafft und wieder eingeführt, je nach Tagesform. Der Wahnsinn bleibt. Nur die Pressemitteilung ändert sich.

Die Behauptung als Ersatzhandlung

Glaubt sie das wirklich, die Frau Virkkunen? Dass man mit Paragrafen gegen Plattformen ankommt, die sich täglich selbst neu erfinden? Glaubt sie, dass man gegen globale Informationsarchitektur mit kontinentaleuropäischem Bürokratensprech anstinken kann? Vielleicht. Oder – viel wahrscheinlicher – sie glaubt es nicht. Sie sagt es trotzdem. Denn Sagen ist Handeln in Brüssel. Wer einen Skandal benennt, hat ihn schon halb beseitigt. Wer einen Missstand beklagt, beweist damit moralische Integrität. Und wer eine Plattform ermahnt, hat wenigstens etwas getan. Nicht viel – aber genug für ein Zitat in der Tagesschau.

Ein Fazit in Ironie getaucht

Es ist gut, dass sich jemand gegen die digitale Anarchie stellt. Aber es wäre besser, wenn dieser Jemand nicht klingen würde wie eine leicht verstimmte Schuldirektorin, die Facebook einen Tadel gibt, während TikTok das Schulgebäude anzündet. Die EU meint es ernst. Doch Ernst allein ist keine Strategie. In einem System, das auf Geschwindigkeit, Innovation und Manipulation basiert, wirken moralische Prinzipien wie Teelöffel in einem Tsunami.

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Die Wahrheit ist: Die Regeln sind gut. Die Absichten sind ehrenwert. Aber ohne Macht, ohne Mut zur Konfrontation, ohne eigene digitale Kraftwerke bleibt Brüssel die Parodie seiner selbst:
Ein Kontinent, der glaubt, sich retten zu können, indem er sich selbst gut zuredet.

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