AUCH BELGIEN GEHT AN RECHTS

Belgien also. Auch Belgien. Das kleine, komplizierte, föderale, dreigeteilte Belgien, das Land, das politisch stets ein Gleichgewichtskünstler auf dem Hochseil europäischer Befindlichkeiten war. Nun kippt es. Nicht mit einem großen Knall, nicht mit der revolutionären Geste eines wütenden Wahlvolks, sondern mit der schweigsamen Konsequenz einer schleichenden Erosion. Es rückt nach rechts, gemessen und bedacht, wie ein Kellner, der in einem Brüsseler Café einem deutschen Touristen mit verständnislosem Blick doch noch ein Bier ohne Schaum serviert.

Und da steht er nun, Bart De Wever, der ewige Erklärer, der Mann mit der Haltung eines Lateinlehrers auf Speed, der Intellektuelle unter den Nationalisten, der mit seiner N-VA eine Koalition schmiedet, die bereits in ihrem Namen klingt, als wäre sie in einem texanischen Waffengeschäft ausgedacht worden: die Arizona-Koalition. Man kann sich das bildlich vorstellen – knallende Peitschenhiebe auf die politische Kutsche, Staub wirbelt auf, und am Horizont verschwindet die alte belgische Konsensdemokratie wie ein verängstigtes Kaninchen.

Von der belgischen Lösung zur belgischen Abwicklung

Wer Belgien kennt, weiß: Dieses Land hat ein beinahe unnatürliches Talent, sich nicht entscheiden zu müssen. Flamen gegen Wallonen? Kompliziert. Brüssel dazwischen? Noch komplizierter. Regierungen bilden? Oh bitte, warum so eilig – das Land lief ja auch 541 Tage ohne! Belgien ist die Schweiz der Unentschlossenen, ein Land, das mit seiner institutionellen Verwirrung sämtliche Probleme so lange einhegt, bis sie keiner mehr versteht.

Doch diesmal, diesmal haben sie sich entschieden. Oder richtiger: Die Flamen haben entschieden. Die Wallonen dürfen bestenfalls mitspielen, so, als würde man ihnen erlauben, an einer exquisiten flämischen Käseverkostung teilzunehmen, aber bitte ohne eigene Wünsche. Und wer sitzt am Tisch? Die Sozialisten (halbherzig), die Liberalen (verzweifelt) und die Konservativen (begeistert). Das Ziel? Eine Regierung, die nicht unbedingt rechtsextrem ist, aber doch deutlich nach rechts neigt – wie ein alter, durchgesessener Sessel, der irgendwann einfach umfällt.

Der Herr der Ringe – äh, der flämischen Sezession

Bart De Wever, das muss man wissen, ist nicht nur Politiker, sondern auch Historiker. Ein Mann, der die Geschichte so liest, wie ein Bäcker sein eigenes Brot lobt: mit Stolz auf das eigene Handwerk und einer gehörigen Portion Verklärung. Seit Jahrzehnten erklärt er Belgien für überflüssig, ein historisches Missverständnis, ein Land, das nur existiert, weil die Großmächte 1830 gerade nichts Besseres zu tun hatten. Dass er jetzt als Premierminister genau dieses Landes auf dem Thron sitzt, ist eine Ironie, die nicht einmal ein belgischer Comiczeichner besser hinbekommen hätte.

TIP:  Keine Rettung in Sicht

Und während er regiert, schwebt die große Frage über allem: Wird Belgien diese Legislatur überleben? Oder ist dies der Anfang vom Ende, die schrittweise Umsetzung des flämischen Traums von Unabhängigkeit? De Wever wird sich hüten, das offen zu sagen – noch nicht. Aber es wird eine Regierung sein, die Belgien nicht weiter zusammenfügt, sondern es in seiner stillen Zersetzung verwaltet.

Rechtspopulismus light – aber bitte ohne Vlaams Belang

Natürlich, Vlaams Belang, die offen rechtsextreme Partei, bleibt draußen. Man hält sich an die alte Regel: Man regiert nicht mit dem Teufel. Stattdessen baut De Wever eine respektable Rechte auf, eine Art politischer Gin Tonic – hart genug, um zu wirken, aber verdünnt genug, um noch als zivilisiert zu gelten. Migration wird verschärft, Sozialpolitik zurückgefahren, das traditionelle Flandern gepriesen – all das mit der feinen Ironie, dass Belgien selbst eine historisch gewachsene Multikulti-Konstruktion ist.

Die Wallonen, ohnehin in der politischen Defensive, werden sich in dieser Koalition fühlen wie Gäste auf einer Party, auf der sie niemand kennt, während der Gastgeber bereits die Musik nach seinem Geschmack umgestellt hat. Und Brüssel? Ach, Brüssel ist ohnehin ein eigener Kosmos, eine Stadt, die europäischer ist als belgisch, und die Belgier ohnehin schon immer ein wenig irritiert hat.

Die letzte Runde läuft

Belgien bekommt also seine erste rechts dominierte Regierung. Nicht die radikale, brutale Variante, sondern die intellektuell verpackte, salonfähige Version. De Wever spielt Schach, nicht Rugby. Aber der Weg ist klar: Die politische Landschaft hat sich verschoben, das alte belgische Modell der ewigen Kompromisse ist angezählt. Die Frage ist nicht, ob Belgien weiter existiert, sondern wie lange es das noch tut.

Am Ende bleibt vielleicht nur eine Erkenntnis: Dieses kleine, seltsam vertrackte Land, das sich über Jahrzehnte gegen jede Form von Eindeutigkeit gewehrt hat, ist nun doch auf eine klare Richtung festgelegt worden. Und die zeigt – ob man es mag oder nicht – nach rechts.

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