Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen

Das Vermächtnis der Unfehlbarkeit

„Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“ Ein Satz, der so deutsch klingt wie eine vollautomatische Heizung, die mit deutscher Effizienz an einem kühlen Oktoberabend anspringt. Ein Satz, der in seiner Selbstgefälligkeit förmlich aus der Brust des deutschen Bürgertums herauszuklingen scheint, während er in maßgeschneiderter Präzision die Spitzen von Goethe, Schiller und Kant durchschneidet, um sich im aufrechten Gang der Geschichte festzusetzen. Doch was steckt hinter diesem schicksalsschwangeren Spruch? Eine Aufforderung zur Weltrettung durch das deutsche Vorbild? Eine fatale Selbstüberhebung, die sich durch die Jahrhunderte zieht? Oder vielleicht doch nur der untote Geist eines übergroßen Nationalstolzes, der sich weigert, endgültig begraben zu werden?

Beginnend im Jahr 1870, als das Deutsche Reich erstmals offiziell die europäische Bühne betrat, ziehen sich die Ausläufer dieses nationalen Mantras wie ein roter Faden durch die deutsche Geschichte. 1914: Die Welt brannte, aber „Deutschland über alles“ klang noch nach einer halbwegs vernünftigen Idee. 1933: „Endlich Ordnung!“, riefen sie, während sie die Demokratie an einen Laternenpfahl hängten. 1970: Nun, es war eine etwas ruhigere Zeit, aber keine Sorge – der Deutsche war immer noch überzeugt, dass er der Chef im Ring ist. Und schließlich 2024: Die deutsche Regierung fährt das Land auf Sparflamme, während der Durchschnittsbürger aus seiner Wärmepumpe mit dem Stolz eines Ingenieurs ein Maximum an Effizienz herausquetscht.

Aber was bedeutet dieser Satz heute noch? Ist das deutsche Wesen wirklich der Stein der Weisen, auf den die Welt wartet, oder handelt es sich doch eher um eine klammheimliche Floskel, die längst ins satirische Fahrwasser geraten ist?

Ein Reich, ein Kaiser, und eine Nation, die sich selbst in den Fuß schießt

Es ist das Jahr 1870. Europa hat sich durch etliche Revolutionsversuche und dynastische Intrigen in einen Knoten aus Nationalstaaten verwandelt. Und mitten in diesem Chaos formiert sich ein Reich. Nicht irgendein Reich, sondern DAS Deutsche Reich. Endlich! Nach jahrhundertelanger Zersplitterung und kleinlicher Fürstentümelei erhebt sich die deutsche Nation aus den Trümmern der Kleinstaaterei – mit einem mächtigen Kaiser an der Spitze und einer Armee, die man als „kraftvoll, diszipliniert und erschreckend effizient“ bezeichnen könnte. Das deutsche Wesen war geboren: Disziplin, Ordnung und ein Hang zur Selbstüberschätzung.

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 setzte den Startschuss für das deutsche Selbstbewusstsein. Paris brannte, und Wilhelm I. wurde zum Kaiser des neu gegründeten Reiches gekrönt. Der Adel applaudierte, das Bürgertum jubelte, und irgendwo im Hintergrund begann Otto von Bismarck sich leise Sorgen zu machen, was wohl als Nächstes kommen könnte. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ wurde damals noch nicht explizit ausgesprochen, aber der Gedanke lag wie ein heimtückisches Virus in der Luft. Schließlich war es die Überzeugung, dass Deutschland – besser gesagt, Preußen – als Modell für den Rest der Welt dienen sollte. Ordnung muss sein. Disziplin ist alles. Und wehe, jemand wagt es, uns in die Quere zu kommen!

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Doch was folgt auf den Höhenflug der Hybris? Richtig, der unvermeidliche Absturz. Denn mit dem deutschen Wesen kamen auch die Kehrseiten: ein übergroßes Selbstbewusstsein, gepaart mit einem mangelnden Verständnis für die Konsequenzen eigener Taten. Der Kaiser träumte von Weltmacht, und die Welt… nun, sie bereitete sich auf den nächsten Konflikt vor.

Wenn Hybris zur Apokalypse wird

Es war einmal, im Jahre 1914, als sich Deutschland ein wenig zu sehr von sich selbst begeistert zeigte. Der Krieg brach aus, und plötzlich fand sich die Welt in einem Flächenbrand wieder, der so apokalyptisch war, dass selbst Dante Alighieri Probleme gehabt hätte, ihn zu beschreiben. Aber keine Sorge, Deutschland war sich sicher: „Das schaffen wir schon!“ Mit dem Stolz eines Kaisers, der dachte, dass ein Spaziergang durch Belgien direkt nach Paris führen würde, marschierte das deutsche Wesen voran.

Doch die Realität hatte andere Pläne. Statt einem schnellen Sieg bekam Deutschland einen jahrelangen Schützengrabenkrieg und eine Generation, die in den Schlamm von Verdun eingegraben wurde. Das deutsche Wesen zeigte sich hier in seiner destruktivsten Form: kompromisslos, stur und blind gegenüber den Folgen des eigenen Handelns. Und als wäre das noch nicht genug, kam am Ende des Krieges auch noch der Versailler Vertrag, der wie ein großer, harter Kater auf das kollektive deutsche Selbstbewusstsein schlug.

Hätte man vielleicht vorher fragen sollen, ob die Welt wirklich nach deutscher Heilung lechzt? Offensichtlich nicht. Das deutsche Wesen, das sich als Retter der Welt inszenierte, hinterließ eine Spur der Zerstörung. Und trotzdem: „Noch nicht aufgegeben!“, rief man. Deutschland würde sich schon wieder aufrappeln – es hatte schließlich immer noch seine Disziplin und Ordnung. Nur die Weimarer Republik war sich dessen nicht ganz so sicher.

Der Totentanz des deutschen Wesens

Dann kam 1933, und alles wurde noch viel schlimmer. Adolf Hitler – der personifizierte Albtraum jeder zivilisierten Gesellschaft – übernahm die Macht und stellte die Welt auf den Kopf. Das deutsche Wesen, das sich einst als diszipliniert und geordnet inszenierte, mutierte zur radikalisierten Fratze des Faschismus. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ – diesmal nicht als Versprechen, sondern als Drohung.

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Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wurde der Wahn zur Staatsdoktrin erhoben. Die Vorstellung, dass das deutsche Wesen die ultimative Lösung für alle globalen Probleme sei, erreichte ihren mörderischen Höhepunkt. Was folgte, war ein infernalischer Feldzug, der Europa in Schutt und Asche legte und Millionen von Menschen das Leben kostete. Der Zynismus dieser Zeit zeigt sich in der perfiden Effizienz, mit der das Morden organisiert wurde – ein Meisterstück deutscher Bürokratie und technischer Präzision, die ihren perversen Höhepunkt in Auschwitz fand.

Die Geschichte sollte an diesem Punkt enden, nicht wahr? Deutschland als zerstörtes Mahnmal für die Welt, was passiert, wenn Selbstüberhebung und Menschenverachtung die Macht übernehmen. Doch die Deutschen wären keine Deutschen, wenn sie sich nicht – trotz aller Schuld und Trümmer – alsbald daran gemacht hätten, sich erneut als moralische Instanz ins Spiel zu bringen.

Wirtschaftswunder und moralischer Sendungsbewusstsein

Nach dem Krieg war Deutschland am Boden. Trümmerfrauen schufteten, und die Wirtschaft lag in Ruinen. Doch dann geschah das Unfassbare: In weniger als zwei Jahrzehnten erhob sich Deutschland aus der Asche, als hätte man die Regeln des Wiederaufbaus neu erfunden. „Made in Germany“ wurde wieder zu einem Markenzeichen, das in der Welt Respekt und Neid erregte. Das Wirtschaftswunder! Aber diesmal ohne die alten imperialen Träume. Oder doch?

Die 70er Jahre waren eine Zeit, in der das deutsche Wesen ein moralisches Comeback erlebte. Nach den Schrecken des Faschismus glaubten die Deutschen, dass sie nun besser wüssten, wie man eine Welt ordnet. Plötzlich gab es den „sozialen Frieden“, eine gut geölte Marktwirtschaft und eine Außenpolitik, die auf Dialog und Verständigung setzte. „Nie wieder Krieg!“, hieß es. Doch darunter lag immer noch die Vorstellung, dass Deutschland irgendwie eine besondere Rolle in der Welt spielen müsse. Vielleicht nicht mehr mit Panzern, sondern mit Politik, Diplomatie und – natürlich – Geld.

Der Deutsche war nun Weltmeister in Sachen Zurückhaltung. Aber wehe, jemand sagte ihm, er sei nicht der beste Schüler im globalen Klassenzimmer! Auch in den 70ern blieb ein latenter moralischer Hochmut bestehen. Der Deutsche belehrte nun mit gutem Gewissen die Welt, wie man eine friedliche und gerechte Gesellschaft aufbaut – als hätte er selbst nichts aus der Geschichte zu lernen gehabt.

Die Wärmepumpen-Dystopie

Und nun sind wir im Jahr 2024 angelangt. Deutschland, das Land der Dichter und Denker, der Ingenieure und Planer, hat sich erneut als moralische Vorbildnation aufgestellt. Diesmal geht es um die Rettung der Welt vor dem Klimawandel. Die Waffen dieser neuen Schlacht? Wärmepumpen, Elektromobilität und ein Maß an Bürokratie, das seinesgleichen sucht. Der durchschnittliche deutsche Bürger spart, dämmt, und verzichtet auf Flugreisen, um seinen Beitrag zur Rettung des Planeten zu leisten. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ hat nun eine umweltfreundliche Note bekommen.

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Doch auch hier lauert der Zynismus. Während Deutschland sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz inszeniert, verschwendet es Zeit und Energie auf halbherzige Reformen und endlose Diskussionen über richtige Vorschriften. Die Welt schaut zu, zuckt die Achseln und fährt weiter mit dem SUV zur Arbeit. Und Deutschland? Deutschland klopft sich stolz auf die Schulter, weil es den moralischen Imperativ der Rettung des Planeten erkannt hat – obwohl es dabei kaum noch jemanden mitnimmt.

Die deutsche Politik gleicht einem Uhrwerk, das zwar tickt, aber längst nicht mehr die richtige Zeit anzeigt. Und der deutsche Bürger? Der ist erschöpft, aber stolz – wie immer.

Der ewige Traum von der Weltrettung

„Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ – ein Satz, der über die Jahrhunderte so viele Bedeutungen angenommen hat, dass man sich fragt, ob er jemals ernst gemeint war. Von Bismarck über Hitler bis zu den heutigen Klimazielen hat sich die Vorstellung, dass Deutschland eine besondere Verantwortung für die Welt hat, als hartnäckiger Irrtum erwiesen. In Wirklichkeit ist es ein tragikomisches Schauspiel, bei dem Deutschland sich selbst immer wieder in die Rolle des Retters der Welt hineinsteigert – nur um am Ende entweder das Chaos zu hinterlassen oder in der Bürokratie zu versinken.

Der deutsche Hang zur Ordnung, zur Selbstdisziplin und zum moralischen Hochmut ist sowohl Segen als auch Fluch. Denn während Deutschland stets danach strebt, ein Vorbild zu sein, scheint die Welt nicht sonderlich interessiert zu sein, diesem Vorbild zu folgen. Vielleicht sollte sich das deutsche Wesen doch endlich einmal selbst hinterfragen, bevor es erneut versucht, die Welt zu heilen.


Quellen und weiterführende Links:

  1. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zur Wiedervereinigung. C.H. Beck Verlag.
  2. Ian Kershaw: Höllensturz: Europa 1914 bis 1949. Deutsche Verlags-Anstalt.
  3. Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. S. Fischer Verlag.
  4. Michael Stürmer: Das ruhelose Reich: Deutschland 1866-1918. Pantheon Verlag.
  5. Website des Deutschen Historischen Museums (DHM): www.dhm.de
  6. Arte-Dokumentation: Deutschland und der Klimawandel – Ein Land im Wandel (verfügbar auf arte.tv)
  7. Spiegel Online: „Der Klimastreit – Ein Land diskutiert sich zu Tode“ (Verfügbar unter www.spiegel.de)
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