A JEDER RUSS A SCHUSS

Pistorius’ Walzer der Weltkriegs-Rhetorik

„Längst kein regionaler Krieg mehr!“ verkündet Verteidigungsminister Pistorius mit jener jovialen Dramatik, die man sonst nur in schlecht gespielten Shakespeare-Inszenierungen findet. Als wäre es ein Erdbebenbericht, erklärt er den Ukrainischen Krieg zum kontinentalen Tsunami, der uns alle verschlingen wird, wenn wir nicht rechtzeitig die U-Boote auspacken und fleißig Waffen liefern. Es ist fast bewundernswert, wie ein deutscher Politiker in Militärfragen plötzlich so wortgewaltig wird – ein Volk, das jahrzehntelang am liebsten mit dem Panzer rückwärts ins moralische Abseits fahren wollte, scheint sich inzwischen auf den Weg ins Weltpolizisten-Büro gemacht zu haben.

Natürlich, Pistorius hat recht – oder zumindest so etwas wie Recht: Dieser Krieg ist längst kein rein ukrainisch-russisches Unterfangen mehr. Aber musste man wirklich das Offensichtliche in derart pompöser Sprache verkünden? Man könnte glauben, er habe die militärstrategische Einsicht höchstpersönlich in der Mittagspause zwischen zwei Heeresbesuchen empfangen.

Die Moral aus der Kanone – Doppelmoral aus deutscher Feder

Man höre die Worte: Angriffskrieg, globale Bedrohung, Verteidigung der westlichen Werte! Das klingt so edel, dass man fast vergisst, dass derselbe „wertebasierte Westen“ Jahrzehnte lang Bomben in entlegene Regionen dieser Erde verschifft hat, als wären sie Partygeschenke. Afghanistan, Irak, Libyen – nur ein paar Kapitel in der großen Saga von „Demokratie bringen, Land zerstören, Hände in Unschuld waschen“.

Doch diesmal ist es anders, sagen sie. Diesmal geht es um Europa, um die Freiheit und um das Recht, eine warme Wohnung zu haben, ohne sich bei Gazprom bedanken zu müssen. Es geht also nicht um ein Öl-Vorkommen im Wüstensand, sondern um das, was wir euphemistisch „unsere Nachbarschaft“ nennen. Na dann, Feuer frei!

Der Russe als Projektionsfläche

Was wäre die europäische Propaganda ohne den allgegenwärtigen „bösen Russen“? Von „Ivan, der Schlächter“ bis hin zu „Putin, der Puppenspieler“ – die westliche Einbildungskraft ist nicht minder kreativ als Hollywood, wenn es darum geht, einen geeigneten Schurken zu casten. Und ehrlich gesagt, der Russe liefert. Von Prigoschin’s Wagner-Oper bis hin zu Lavrovs politischem Kabarett – die Feindbilder sind so schillernd wie billig.

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Doch halt! Vergessen wir dabei nicht den eigentlichen Star dieser Show: den durchschnittlichen russischen Soldaten, der wie eh und je mit Wodka in der einen Hand und einer Kalaschnikow in der anderen Hand durch die Schlammfelder taumelt. Dass er in Wahrheit oft aus ländlicher Armut und staatlicher Gleichgültigkeit stammt? Geschenkt. Solche Details stören nur die narrative Eleganz.

Waffen für den Frieden, wie man Feuer mit Benzin löscht

Die westliche Logik in Sachen Ukraine-Krieg ist ein wahres Meisterstück der kognitiven Dissonanz. „Mehr Waffen bedeuten schnelleres Kriegsende“, sagen sie, als wäre diese Binsenweisheit je empirisch bewiesen worden. Immerhin: Wenn wir eins aus den letzten Jahrzehnten gelernt haben, dann, dass Waffenlieferungen stets nur zu schnellerer Eskalation führen. Aber wer will schon Realismus, wenn man die illustre Möglichkeit hat, sich als Retter der Weltgeschichte zu inszenieren?

Pistorius, der neue Oberkommandierende der deutschen Munitionsfabrik, zeigt sich dabei erstaunlich agil. Leopard-Panzer hier, Luftverteidigungssysteme da, und immer schön den moralischen Oberton im Gepäck. Schließlich ist Deutschland nicht nur Lieferant, sondern auch Lehrer. „Wir verteidigen die Demokratie“, rufen sie. Dass diese Demokratie mittlerweile vor allem durch PR-Kampagnen und Lobbyisten regiert wird? Das muss der Geschichtsschreiber von morgen klären.

Was bleibt, wenn die Kanonen schweigen

Natürlich wird auch dieser Krieg irgendwann enden – alle Kriege tun das. Und wenn es soweit ist, wird man Pistorius und Konsorten eine Bühne bereiten, um ihre Rolle im „Sieg der Freiheit“ zu feiern. Die Waffen werden verstummen, aber der wirtschaftliche Wiederaufbau wird nicht weniger profitabel sein. Da, wo einst Raketen einschlugen, werden westliche Unternehmen fröhlich Rohstoffe abbauen, und ukrainische Oligarchen werden ihre neuen Paläste mit westlichem Geld errichten.

Das Leid, der Tod, die Zerstörung? Sie werden in Dokumentationen und Fotobänden verarbeitet, illustriert von wehmütigen Streicherklängen. Und während sich die Welt der nächsten Krise zuwendet, bleibt eine schlichte Frage zurück: Was hat der „jedem Russ ein Schuss“-Mentalität eigentlich gebracht? Mehr Frieden? Wohl kaum.

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Quellenangaben und weiterführende Links

  1. Tagesschau: Pistorius warnt vor globaler Eskalation
  2. Zeit Online: Waffenlieferungen und ihre Folgen
  3. New York Times: Westliche Heuchelei in der Ukraine-Krise
  4. Amnesty International: Menschenrechtsverletzungen in Konflikten
  5. Guardian: Der lange Schatten des Westens in globalen Konflikten

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