Der mürrische alte Mann

Die Weisheit des Alters oder die trügerische Illusion der Milde

Es heißt, mit dem Alter kommt die Weisheit. Wie so viele Sprichwörter, die sich Generationen hinweg als Lebensweisheiten festgesetzt haben, ist auch diese Maxime eine gefährliche Lüge. Denn während die Weisheit vielleicht kommt, kommt mit ihr noch etwas viel Mächtigeres: der Verdruss. Ja, die Lethargie, die wachsende Abscheu vor der Dummheit der Menschheit und die Einsicht, dass all die Mühen, all das Gerede, all die Kämpfe in den letzten Jahrzehnten völlig sinnlos waren. Wenn man jung ist, glaubt man noch, man könne die Welt verändern. Wenn man älter ist, dann weiß man: Die Welt ist längst verloren.

Und so stehe ich hier, der mürrische alte Mann. Meine Beine sind schwach, mein Geduldsfaden hauchdünn. Früher hätte ich vielleicht noch versucht, dir meine Sicht der Dinge in einem langen Gespräch zu erläutern, dich vielleicht sogar überzeugt, meinen Standpunkt zu verstehen. Heute aber… heute ist alles anders. Heute habe ich keine Zeit, keine Kraft mehr für sinnlose Diskussionen. „Ich bin zu alt, um zu kämpfen. Zu langsam, um zu rennen. Ich erschieße dich einfach und bin fertig damit.“ Klingt brutal? Ja, das ist es. Aber brutal ist auch die Erkenntnis, dass wir in einer Welt leben, die nicht einmal die Mühe wert ist, über sie zu sprechen.

Die letzte große Enttäuschung

Es ist eine grausame Ironie des Lebens, dass man im Alter beginnt, alles klarer zu sehen. Die Brille mag dicker werden, die Knochen spröder, die Haare schütter – aber die geistige Klarheit, die ist da, wie ein verfluchtes Geschenk. Man sieht die Welt nicht mehr durch die rosarote Brille jugendlichen Idealismus‘, sondern als das, was sie wirklich ist: ein Haufen Mist, bedeckt von einer dünnen Schicht aus Glanz und Glamour, mit der uns die Medien und Politiker füttern, um uns bei Laune zu halten.

Früher, ja früher hätte ich noch die Energie gehabt, mich über den Verfall der Moral, die wachsende Ignoranz und die unfassbare Dummheit der Menschen aufzuregen. Aber was bringt das? Am Ende redet man sich nur in Rage, die Herzfrequenz steigt und plötzlich findet man sich auf der Notfallstation wieder, weil der Blutdruck einen unschönen Abgang machen will. Nein, ich habe gelernt, die Dinge nüchtern zu sehen: Ich könnte kämpfen, aber wozu? Der Kampf ist längst verloren. Ich könnte rennen, aber wohin? Es gibt keinen sicheren Ort mehr in dieser Welt. Also nehme ich die einfachste Lösung: Ich erschieße dich einfach. Nein, keine Panik – das ist natürlich metaphorisch gemeint. Eine schnelle, scharfe Pointe hier, ein zynischer Seitenhieb da – das ist meine Art, dich zu erledigen. Das ist die letzte Waffe des mürrischen Alten: Sarkasmus als Überlebensstrategie.

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Ein verlorener Haufen

Es gibt eine Altersweisheit, die besagt: „Jede Generation ist schlechter als die vorherige.“ Diese Sichtweise mag ein bisschen hart erscheinen, aber mal ehrlich: Schau dich um! Wir leben in einer Zeit, in der Influencer als Vorbilder gelten und TikTok-Tänze wichtiger sind als die Frage, ob der Planet noch 50 Jahre überlebt. Man kann die Jugend nicht einmal wirklich verurteilen – sie hat es ja nie besser gelernt. Sie sind das Endprodukt eines Systems, das sich selbst verschlungen hat.

Aber weißt du was? Früher hätte ich vielleicht versucht, dich als Vertreter dieser verlorenen Generation zur Vernunft zu bringen. Dir erklärt, dass es nicht reicht, sich mit einer App für Klimaschutz zu engagieren, während man gleichzeitig das neue iPhone mit in Plastik verpackten Avocados in der Hand hält. Heute aber? Heute habe ich keine Zeit für solch grundlegende Erklärungen. Heute packe ich meine metaphorische Waffe aus und schieße dir eine messerscharfe Wahrheit ins Gesicht: Du bist die Marionette eines Systems, das dich längst aufgegeben hat, aber du merkst es nicht einmal. Bäng. Das war’s. Ich bin fertig mit dir.

Ein freudiger Rückzug

Und da wären wir nun – am Kern des Problems. Im Alter zieht man sich zurück, nicht weil man einsam ist, sondern weil man die Menschen einfach nicht mehr erträgt. Jeder Besuch, jedes Gespräch wird zur Prüfung. Die ewige Litanei von belanglosen Belanglosigkeiten ist wie Sandpapier auf der Seele eines alten Mannes. Früher hätte ich mir noch Mühe gegeben, das Gespräch am Laufen zu halten. Heute? Ich lass es. Warum sollte ich mich mit deinen dummen Fragen über das Wetter oder den letzten Tatort beschäftigen? Wenn du nicht verstanden hast, dass das Wetter nur eine Metapher für den bevorstehenden Weltuntergang ist, dann bist du Teil des Problems.

Die Einsamkeit ist für uns alte Menschen kein Feind, sondern ein Freund. Sie hält uns von den absurden Ansprüchen dieser Welt fern, bewahrt uns vor den endlosen, leeren Gesprächen, die keinen Wert haben. Sie ist das letzte Geschenk, das uns das Alter macht – die Möglichkeit, den Rest der Zeit mit sich selbst und seinen Gedanken zu verbringen, ohne den ständigen Lärm der Außenwelt. Ich habe kein Interesse daran, die „gesellschaftlichen Erwartungen“ zu erfüllen. Ich bin alt, ich bin mürrisch, und ich genieße es.

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Die Gesellschaft als Verfallsprodukt

Manchmal frage ich mich, wann genau es schiefgelaufen ist. War es irgendwann in den 90ern, als alle plötzlich begannen, auf neoliberale Wellen zu surfen, während gleichzeitig die sozialstaatliche Solidarität ertrank? Oder war es schon viel früher, als die Menschen beschlossen, dass das Streben nach immer mehr Geld und Erfolg wichtiger ist als die Nachbarschaft, das gemeinsame Miteinander? Aber weißt du was? Es ist mir egal. Denn selbst wenn wir den Moment finden würden, in dem es gekippt ist, was würde das ändern? Nichts. Die Gesellschaft ist ein Verfallsprodukt. Sie hat sich selbst abgenutzt, und jetzt verrottet sie vor sich hin.

Früher hätte ich versucht, mit meinem Stock auf den Boden zu stampfen, mich über die Ungerechtigkeiten aufzuregen und den Menschen klarzumachen, dass wir dringend etwas ändern müssen. Heute? Heute bin ich pragmatisch. Die Welt wird ohnehin bald den Bach runtergehen – warum also die Mühe? Wie sagte ein weiser Mann einst: „Die Dummheit der Menschen ist unendlich.“ Da stimme ich ihm zu, aber ich ergänze: „Die Geduld der Alten ist es nicht.“

Ein ungeschriebenes Manifest

Am Ende bleibt die Frage: Was nun? Die Antwort ist einfach. Der mürrische alte Mann ist der wahre Held unserer Zeit. Er hat die Absurdität dieser Welt durchschaut und sich entschieden, nicht mehr mitzuspielen. Er kämpft nicht mehr gegen Windmühlen, er rennt nicht mehr den Träumen seiner Jugend hinterher. Er hat begriffen, dass das Ende unausweichlich ist – und er hat beschlossen, seinen Frieden damit zu machen.

Die Waffe des mürrischen alten Mannes ist der Sarkasmus, seine Munition sind zynische Kommentare und sein Schlachtfeld ist die Gesellschaft, die er längst abgeschrieben hat. Früher hätte ich vielleicht noch eine große Rede gehalten, um dich zu überzeugen, die Dinge anders zu sehen. Heute? Heute erschieße ich dich einfach – metaphorisch natürlich – und bin fertig damit.

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Was bleibt, ist Schweigen

Und so endet unser kleiner Ausflug in die Gedankenwelt des mürrischen alten Mannes. Am Ende bleibt nicht viel zu sagen. Die Welt dreht sich weiter, die Menschen bleiben dumm, und ich? Ich ziehe mich zurück in die wohltuende Einsamkeit des Alters. Vielleicht mit einem Buch, vielleicht mit einem Glas Whisky. Der Rest ist mir egal.

Quellen und weiterführende Links

  1. Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung – Ein Klassiker für jeden mürrischen alten Mann.
  2. Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos – Über den ewigen Kampf gegen die Absurdität des Lebens.
  3. La Rochefoucauld, François de: Maximen und Reflexionen – Die perfekte Lektüre für bittere Weisheiten im Alter.
  4. Psychology Today: Artikel über Altersweisheit und den Rückzug im Alter – Für jene, die das Ganze doch noch ernsthaft psychologisch betrachten möchten.
  5. Günter Grass: Der Butt – Ein literarisches Monument, das sich mit den ewigen Kreisläufen der menschlichen Existenz befasst.
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