Friedrich Merz, und der Krieg, der noch gar nicht begonnen hat,

aber schon verloren ist.

Es beginnt, wie es in Deutschland immer beginnt: mit großen Worten, ernster Miene, militärischem Vokabular und dem Unwillen, aus der Geschichte etwas anderes zu lernen als die falschen Lektionen. Friedrich Merz, frisch inszenierter Bundeskanzler und General im Anzug, betritt die Bühne der Republik nicht mit einer Vision, sondern mit einem Feindbild. Russland. Krieg. Notstand. Wiederbewaffnung. Und dazwischen die betonte Feststellung, Deutschland müsse „wieder die stärkste konventionelle Armee Europas“ stellen. Als wäre das ein Qualitätsmerkmal. Als wäre das nicht exakt der Punkt, an dem in der Vergangenheit alles begann, was man angeblich nie wiederholen wollte.

Historisch betrachtet bedeutet ein Deutschland mit der stärksten Armee Europas exakt eines: Krieg. Es ist keine These, es ist kein Alarmismus – es ist ein empirischer Befund. Jedes Mal, wenn Berlin Panzer zählen konnte, bevor es Stimmen hörte, folgte ein Flächenbrand. 1914. 1939. Zwei Weltkriege, zwei deutsche Führungsansprüche, zwei Mal militärische Stärke, die in moralischer Schwäche kulminierte. Und nun also wieder: Friedrich Merz, der Mann mit dem Steuersparmodell für Kriegsfantasien, erklärt das Land für „im Krieg“. Nicht vielleicht, nicht bald – jetzt. Nur diesmal sei er „asymmetrisch“, also praktisch überall, nirgends, fließend, unsichtbar – wie eine Buchhaltungsprüfung bei BlackRock.

Die neue Wehrmacht heißt „Verantwortung“

Was Merz hier betreibt, ist keine Sicherheitspolitik, es ist politisch codierter Größenwahn. Nicht einmal die Generäle der NATO träumen so offen von deutscher Militärdominanz wie dieser Mann, der seine politischen Ambitionen offenbar mit einem Sandkasten verwechselt, in dem er der Größte sein will. Und weil man sich nicht mehr traut, „militärische Hegemonie“ zu sagen, nennt man es jetzt „Verantwortung“. Verantwortung – das klingt nach G7-Gipfel, nicht nach Stahlhelm. Es klingt nach Diplomatie, nicht nach Aufrüstung. Und genau darum ist es so perfide. Denn die „Verantwortung“, von der Merz spricht, ist nichts anderes als die Wiederherstellung eines Machtanspruchs, der Europa schon zweimal in den Abgrund gerissen hat.

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Man reibt sich die Augen: Hat dieser Mann wirklich Geschichte studiert, oder nur Rüstungskataloge? Glaubt er im Ernst, man könne gegen eine Atommacht wie Russland mit Leopard-Panzern antreten, oder glaubt er nur, dass die Vorstellung davon reicht, um innenpolitisch durchzuregieren? Denn das ist ja der Trick: Wer Krieg ruft, bekommt Schweigen. Wer „Gefahr“ sagt, erhält Durchgriffsrechte. Wer „Russland“ sagt, braucht keine Debatte mehr zu führen. Nur Panzerlisten.

Russland als Bühnenbild, Berlin als Regisseur

Der „russische Angriff“ ist in dieser Erzählung nicht einmal mehr ein Ereignis – er ist ein Dauerzustand, ein atmosphärisches Element, ein Rechtfertigungshintergrund. Die russische Bedrohung ist das neue „Barbarentum“, der neue Osten, das neue Unheil, das durch Aufrüstung gezähmt werden muss. Als wäre Russland ein Naturereignis. Oder ein schlechtes Drehbuch, das man braucht, um die eigene Rolle zu spielen. Merz braucht Russland nicht als Gegner, sondern als Schatten, in dem Deutschland wieder als Licht erscheinen darf.

Dabei ist es offensichtlich: Russland hat keine Ressourcen für eine europäische Invasion. Es kämpft sich durch die Ukraine, mit zunehmend improvisierter Logistik, Söldnern und verzweifelten Wehrpflichtigen. Das ist keine Großmacht – das ist ein maroder Apparat mit Atomwaffen. Und die Vorstellung, dass Berlin mit „konventioneller Stärke“ diesem Gegner gegenübertritt, ist nicht nur militärisch absurd – sie ist zynisch. Denn sie verkennt, was auf dem Spiel steht. Nicht nur Stabilität, sondern Existenz.

Panzer für den Frieden – ein deutscher Witz

Die gefährlichste Waffe im politischen Arsenal von Friedrich Merz ist nicht der Panzer – es ist das Narrativ. Die Sprache. Der Trick, aus Aufrüstung Friedenspolitik zu machen. Aus Stärke Verantwortung. Aus Wiederbewaffnung Normalität. Es ist dieselbe politische Grammatik, die in Deutschland schon oft als Einstieg in die Katastrophe diente. Merz verkauft das Comeback der Wehrhaftigkeit als moralisches Projekt. Doch es ist nichts anderes als der Rückfall in einen deutschen Exzeptionalismus – diesmal mit NATO-Logo.

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Die Behauptung, dass Deutschland „die stärkste konventionelle Armee Europas“ brauche, ist wie ein Echo aus einer Zeit, in der genau dieser Satz unaussprechlich war – weil die Leichenberge noch nicht vergessen waren. Heute aber wird dieser Satz wieder salonfähig. Und mit ihm eine neue deutsche Selbstermächtigung, die als Verteidigung getarnt ist. Die Wahrheit ist: Keine konventionelle Armee der Welt schützt vor einem Atomkrieg. Und niemand in Europa – wirklich niemand – hat vergessen, was passiert, wenn Deutschland glaubt, es müsse militärisch führen.

Geschichte als schlechte Gewohnheit

Es ist wie ein alter Albtraum, den man für verarbeitet hielt. Doch plötzlich sitzt er wieder am Kabinettstisch, in Nadelstreifen und mit Redezeit. Wieder glaubt Deutschland, es müsse sich „ernst nehmen“, indem es Waffen spricht. Wieder redet ein Kanzler von Gefahr, wo Klugheit gefragt wäre. Wieder soll ein Land militärisch vorangehen, das zivilisatorisch oft genug hinterherhinkte, wenn es um Verantwortung wirklich ging.

Das eigentliche Problem ist nicht Russland. Es ist die deutsche Bereitschaft, in Bedrohungsszenarien sofort wieder das zu werden, was es nie wieder sein wollte: bewaffnet, moralisch überhöht, blind für das eigene Echo. Der Weltkrieg beginnt nie plötzlich. Er beginnt in solchen Reden. In solchen Rhetoriken. In solchen Wiederholungen. Und jedes Mal beginnt er mit dem Satz: „Deutschland muss sich verteidigen.“

Merz – ein Name, ein Programm?

Der Name selbst klingt schon wie eine Kriegsparole. Merz. Kurz, hart, deutsch. Man hört ihn und denkt: Vielleicht ist das alles kein Zufall. Vielleicht ist dieser Mann wirklich der perfekte Kanzler für eine Republik, die glaubt, der Krieg sei ein Zeichen von Ernsthaftigkeit. Vielleicht ist es kein Unfall, dass gerade er das Comeback der Bundeswehr nicht als Notwendigkeit, sondern als Identitätspolitik betreibt. Merz ist nicht der Kanzler des Krieges. Aber er ist der Kanzler, der ihn denkbar macht.


Postskriptum: Berlin, bitte keine dritte Staffel

Die Geschichte hat uns zwei Mal gezeigt, was passiert, wenn Berlin militärisch aufrüstet, sich selbst zur Mitte Europas erklärt und die „konventionelle Stärke“ als Heilsversprechen verkauft. Zwei Weltkriege, zwei Zusammenbrüche, zwei Mal verbrannte Erde. Und nun, so scheint es, beginnt der dritte Akt. Wieder nicht mit einem Schuss – sondern mit einer Rede. Und einem Kanzler, der nichts gelernt hat. Außer vielleicht: Wie man Applaus bekommt, wenn man das Wort „Krieg“ oft genug in den Mund nimmt.

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