Jeder weiß, so darf es nicht bleiben.

Es ist ein offenes Geheimnis, ein Tabu, das keines ist, weil es so laut in den Straßenschluchten widerhallt, dass es selbst der Taubstumme im fernen Vorort erahnen kann. Jeder sieht es, jeder spürt es, aber alle tun so, als wäre es nicht da. Wie eine Party, auf der sich alle bestens amüsieren, während im Hintergrund ein Haus brennt. „Ach, lass uns noch einen Drink nehmen, wir sehen dann schon, was passiert.“ So ist der Status quo, so ist die Gegenwart: ein grotesker Maskenball, eine Operette, die sich ernst nimmt, obwohl das Libretto von einem Betrunkenen in einer Nacht des Deliriums verfasst wurde.

Jeder weiß, so kann es nicht bleiben.

Doch wie das bei Krankheiten ist, die nicht diagnostiziert werden, gibt es auch keine Therapie. Oder schlimmer: Die Therapeuten sind dieselben, die das Gift verkaufen. „Wir haben hier ein wundervolles Heilmittel!“ rufen sie mit breitem Grinsen, während sie die Krankheit erst mühsam ins Leben gerufen haben. Aber wehe dem, der aufbegehrt! Er ist der Käfer in der Suppe, der Spielverderber, der, der die Musik zu früh abstellt. So lebt es sich gemütlicher, wenn man den Wecker ignoriert, wenn man sich rühmend auf die Schulter klopft, weil man das Ende der Geschichte herbeigeredet hat. Währenddessen steht sie da, die Geschichte, an der Bar, mit einem bitteren Lächeln und einem doppelten Whiskey, und wartet. Auf das nächste Kapitel.

Niemand glaubt, dass sich etwas ändert.

Der Pessimist sagt: Es bleibt alles, wie es ist. Der Optimist sagt: Vielleicht bleibt es alles, wie es ist. Der Realist sagt: Es bleibt alles, wie es ist, nur schlimmer. Und dann gibt es noch jene, die Revolution rufen, Reformen fordern, Erneuerung versprechen. Ihre Worte perlen an der Wand der Trägheit ab wie Regen an einer Windschutzscheibe. Sie inszenieren sich als die nächsten Heilsbringer, während sie aus demselben Teig geknetet sind wie ihre Vorgänger. „Vertraut uns! Diesmal machen wir es richtig!“ rufen sie, und jeder weiß, es ist eine Wiederholung, ein Abziehbild, ein weiteres Kapitel in der unendlichen Chronik der Selbstillusion.

TIP:  Schwert und Schild der Parteien

Aber vielleicht, ja vielleicht, ist es gerade dieser leise Zweifel, dieser unerhörte Funken Skepsis, der doch noch etwas in Bewegung setzt. Vielleicht ist es die Reibung zwischen Gewissheit und Müdigkeit, zwischen Wut und Resignation, die etwas entstehen lässt. Doch bis dahin: Noch ein Drink, die Musik spielt weiter, das Haus brennt, und die Party geht ihren gewohnten Gang.

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