Eine Europäische Verteidigung?

So wird das nichts.

Wieder einmal wird lautstark nach einer europäischen Verteidigung gerufen. Nach einer eigenständigen militärischen Kraft, die nicht von Washingtons Gnaden abhängig ist, nicht den Launen eines transatlantischen Bruders unterworfen, der – man mag es kaum glauben – gelegentlich seine eigenen Interessen verfolgt. Doch wie so oft in dieser schöngeistig-behäbigen Union europäischer Unentschiedenheit bleibt es bei Absichtserklärungen, wolkigen Sonntagsreden und der ewig gleichen Leier: „Mehr Koordination! Mehr Zusammenarbeit!“. Aber keine Entscheidungen. Denn Entscheidungen treffen hieße Verantwortung übernehmen. Und Verantwortung – das ist nun wirklich nichts für Brüsseler Bürokraten oder die nationalstaatlichen Potentaten, die mit eiserner Faust ihre eigenen kleinen Souveränitätsinseln verteidigen.

Die Demokratie, die keine ist

Hier nun das Problem: Es gibt kein europäisches Parlament mit Initiativrecht, keinen legislativen Akteur, der eine Armee überhaupt schaffen könnte. Denn, seien wir ehrlich: Das Europaparlament ist ein Debattierklub mit Wohlgefühlsfunktion. Reden, nicken, symbolische Resolutionen verabschieden, aber bloß nichts wirklich beschließen. Denn das darf nur die Kommission. Und die ist – in genialer Konstruktion – eine Exekutive, die gleichzeitig als Legislative agiert, ohne dafür jemals demokratisch gewählt worden zu sein. Dass eine solche Machtkonzentration sonst nur in den feuchten Träumen autoritärer Technokraten vorkommt, scheint niemanden zu stören. Und so bleibt die Frage: Wer soll diese Parlamentsarmee, die Europa angeblich so dringend braucht, auf den Weg bringen? Ein Parlament, das nichts zu sagen hat? Eine Kommission, die ihre Macht nicht teilen will? Ein Rat, dessen Mitglieder bereits das Wort „europäisch“ mit nervösem Augenzucken quittieren?

Die nationale Eifersucht – oder: warum nichts vorangeht

Natürlich lässt sich auch vortrefflich darüber streiten, welche Streitkräfte da eigentlich unter einem Banner vereint werden sollten. Die Franzosen wollen ihre Force de frappe nicht teilen, die Deutschen wären am liebsten eine pazifistische Kräftegemeinschaft, die Osteuropäer bestehen auf maximale NATO-Nähe, und der Rest? Der Rest will vor allem keine Rechnungen bezahlen. Eine europäische Armee wäre nicht nur eine logistische und strategische Herausforderung, sondern vor allem eine diplomatische. Man stelle sich nur die Kompromisssuche vor: Ein französischer General, ein deutscher Finanzminister, ein italienischer Verteidigungsrat und ein polnischer Oberbefehlshaber sollen sich auf eine gemeinsame Doktrin einigen. Ein Wunder, wenn sie sich auf das gemeinsame Schuhwerk ihrer Soldaten einigen könnten!

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Und die NATO?

Es ist ein offenes Geheimnis, ein unausgesprochenes Dogma, ein historisches Artefakt, das dennoch die Gegenwart prägt: Europa mag zwar unter dem Banner der NATO marschieren, doch am Ende kommandiert der amerikanische Oberbefehlshaber – der Supreme Allied Commander Europe (SACEUR). Ein Amerikaner. Immer. Seit der Gründung der NATO. Ohne Ausnahme. Keine Diskussion. Warum eigentlich? Weil es halt so ist. Und weil die transatlantische Symbiose, wie so viele andere Absurditäten, sich selbst zementiert hat. Europa, hochgelobt als wiegende Kulturnation, als Hort der Diplomatie, als Mutter aller Zivilisationen, ist militärisch gesehen bestenfalls der junior partner, schlimmstenfalls das Fußvolk eines entfernten Hegemons.

Der ewige Traum europäischer Eigenständigkeit

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Schon Charles de Gaulle sah das Problem und versuchte, Frankreich aus der Umklammerung zu befreien. NATO-Mitglied, ja. Aber nicht in die integrierte Befehlsstruktur eingebunden. Ein Affront für Washington. Und was machte Europa? Stand daneben und schaute zu. Heute, in Zeiten von europäischer Verteidigungsunion, strategischer Autonomie (was für ein hölzerner Begriff!) und Zeitenwende (was für eine Marketingfloskel!), ist das Problem dasselbe geblieben: Die Kommandostruktur der NATO ist in amerikanischer Hand. Und Europa? Redet darüber, eine eigene Armee aufzubauen, während es brav den SACEUR bestätigt.

Die strategische Abhängigkeit Europas

Die NATO mag eine Allianz der „gleichen“ Partner sein, doch sie gleicht eher einer feudalen Pyramide. Oben thront der transatlantische Oberbefehlshaber, unten verteilen sich die europäischen Vasallenstaaten, bereit, auf Kommando zu marschieren. Doch wehe, einer wagt es, die Hierarchie infrage zu stellen! Die Reaktionen kommen prompt und folgen einem bewährten Muster: Zuerst gibt es wohlmeinende Ermahnungen („Es geht doch um Sicherheit!“). Dann folgt der geopolitische Zeigefinger („Russland! China! Gefahren überall!“). Und am Ende steht die moralische Keule („Ihr untergrabt das westliche Bündnis!“). Wer sich widersetzt, wird aus dem Club der artigen Demokraten ausgeschlossen und als Störenfried abgestempelt.

Wird Europa je aus dem Schatten treten?

Die Frage ist nicht, ob Europa unter amerikanischem Kommando kämpft. Die Frage ist, ob es je eine Alternative dazu geben wird. Solange man über „strategische Autonomie“ referiert, während man artig SACEURs Bestellungen befolgt, solange man über europäische Verteidigung philosophiert, während amerikanische Flugzeugträger die europäischen Gewässer dominieren, solange wird Europa bestenfalls der führende Komparse im amerikanischen Drehbuch bleiben. Es sei denn, es passiert ein Wunder. Aber Wunder sind in der Geopolitik leider noch seltener als selbstbewusste europäische Militärstrategien.

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Am Ende bleibt alles beim Alten

So läuft es am Ende immer gleich: Große Worte, kleine Schritte, und eine pragmatische Kapitulation vor der Wirklichkeit. Die NATO bleibt die einzige Militärallianz Europas, und jeder macht weiter wie gehabt. Frankreich rüstet für sich, Deutschland zerredet alles, und alle anderen hoffen, dass Washington nicht plötzlich das Interesse verliert. Und so bleibt Europa, was es immer war: Ein Friedensprojekt ohne Verteidigung, eine Union ohne Einheit, und eine Macht, die sich vor nichts mehr fürchtet als vor sich selbst.

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