Von Cyborg-Hunden und lesbischen Liebesökologien

Es gibt Texte, die schreibt man, weil man glaubt, die Welt verändern zu können. Und es gibt Texte, die schreibt man, weil man sich in einem Meer aus Absurditäten treibend nur noch zynisch an die Tastatur klammern kann. Dies hier ist zweifellos Letzteres – und dennoch, seien wir ehrlich, genau darin liegt vielleicht die letzte, verzweifelte Hoffnung auf Veränderung.

Der Hund als Staatsbeamter

Dass der Hund der beste Freund des Menschen sei, wissen wir ja spätestens seit Lassie und Kommissar Rex. Doch in unserer spätkapitalistischen Dystopie der 2020er Jahre, wo Amazon-Drohnen den Himmel verdunkeln und Boston Dynamics‘ Roboterhunde über die Bürgersteige patrouillieren, hat die alte Freundschaft einen hässlichen Twist bekommen: Der Hund, biologisch oder maschinell, ist längst zum Komplizen rassistischer Polizeigewalt geworden.

Ja, ja, die Polizeihunde, jene fleißigen Schnüffler an der Seite uniformierter Herrenmenschen, die Drogenspürhunde, die Flüchtlingsjagdmaschinen an den EU-Außengrenzen, die Roboterhunde, die in Singapur soziale Distanz überwachen – sie alle stehen im Dienste einer Ordnung, die man gemeinhin als „weiß, cis-männlich und heteronormativ“ bezeichnen könnte.

Die Frage, die sich nun die queer-lesbisch-feministische Theorie stellen muss, lautet: Ist der Hund selbst ein Komplize der weißen Vorherrschaft? Oder ist er, ähnlich wie wir alle, ein Opfer in einem Netz aus Gewalt und Kontrolle, das sich von Fleisch und Blut bis in den Cyberspace hinein spannt?

Und hier, liebe Leser*innen, betreten wir das Territorium von Donna Haraway, der großen Cyborg-Theoretikerin, die schon in den 1980er Jahren die Grenzen zwischen Mensch, Tier und Maschine zum Einsturz brachte. Haraway lehrte uns, dass der Hund niemals „nur Hund“ ist, sondern immer auch ein Companion Species – ein Mit-Wesen, das unsere Welt mitgestaltet und von ihr gestaltet wird. Doch wenn der Hund als „Kampfhund“ rassifiziert wird oder als Roboterhund die Maschinengewehr-Attrappe auf der Polizeidrohne schleppt, dann müssen wir uns fragen: In wessen Welt wird hier eigentlich mitgestaltet?

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Queering the Canine

Doch halt, bevor hier jemand in Depression versinkt: Es gibt Hoffnung, und sie bellt. Denn während die Staatsmacht den Hund als Waffe instrumentalisiert, entstehen in den Schattenzonen unserer queeren Subkulturen ganz andere Verhältnisse.

Die queere Hundeverhältnisse der 2020er Jahre sind ebenso vielgestaltig wie die Gender-Identitäten ihrer menschlichen Begleiter*innen. In lesbischen WGs, auf Transfeministischen Bauernhöfen und in anarchistischen Hundespielgruppen entwerfen Menschen und Hunde gemeinsam alternative Formen von Intimität und Verwandtschaft.

Hier ist der Hund kein Komplize der Herrschaft, sondern ein queerer Gefährte, ein Verbündeter im Widerstand gegen die Logik der Reproduktion und der Kleinfamilie. Der Hund wird zur Drag-King-Ikone, zum Subversiven Schwanzwedler, zur flauschigen Mitbewohner*in, die nicht fragt, welches Pronomen du heute benutzt.

Und während die queeren Cyborgs von morgen längst die Grenzen zwischen Fleisch, Fell und Metall überschreiten, ist es der Hund, der uns lehrt, was es heißt, in radikaler Abhängigkeit und gegenseitiger Fürsorge zu existieren. Die lesbisch-queer-feministische Hundeliebe ist ein trotziges Ja zur verletzlichen, verknoteten und chaotischen Welt, die Donna Haraway einst als „multispecies becoming“ beschrieben hat.

Von Cyborg-Pfoten und lesbischen Futternäpfen

Was wir also brauchen, ist nicht weniger als eine queer-lesbische Ökofeminismus-Agenda, die den Hund als Akteur ernst nimmt – nicht als Opfer der Polizeigewalt, sondern als Mitstreiter*in im Kampf für eine Welt jenseits von Herrschaft und Ausbeutung.

Es geht darum, die Verstrickungen von Liebe und Gewalt, die sich in den Hundeverhältnissen unserer Zeit materialisieren, sichtbar zu machen. Es geht darum, die Polizeihunde zu entwaffnen und die Roboterhunde zu hacken. Und es geht darum, die queeren Hundekollektive zu stärken, die in Parks, auf Hinterhöfen und in veganen Leckerli-Werkstätten bereits die Grundlagen für eine post-anthropozentrische Zukunft legen.

Denn wenn die Welt am Abgrund tanzt, dann tanzen wir am liebsten mit unseren Hunden. In Lederhalsbändern, mit Glitzerleinen und Cyborg-Implantaten. Bellend. Züngelnd. Widerständig.

Fazit

Der Hund ist queer. Der Hund ist lesbisch. Der Hund ist Cyborg. Und vielleicht, nur vielleicht, wird es am Ende der Hund sein, der uns aus dieser Hölle namens Spätkapitalismus hinausführt. Vorausgesetzt, wir lassen ihn von der Leine.

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LINK: Queer canine becomings: Lesbian feminist cyborg politics and interspecies intimacies in ecologies of love and violence: Journal of Lesbian Studies: Vol 0, No 0 – Get Access

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