
Nur Menschen, die in einem mit Wattebäuschen gefüllten Wolkenkuckucksheim leben konnten von einem „inklusiven friedlichen Machtübergang“ in Syrien schwadronieren.
Die Realität hat wieder gegen die Grünen gewonnen.
Es war eine schöne Utopie, wirklich. Eine von diesen Vorstellungen, die mit Zuckerwatte in den Ohren und moralischer Hybris im Herzen gesponnen werden. Ein bunter Reigen aus Twitter-Humanismus, diplomatischem Wishful Thinking und dieser charakteristischen Ignoranz gegenüber der Natur des Menschen, die insbesondere jene an den Tag legen, die sich selbst für die edelsten Vertreter dieser Spezies halten. Ein „inklusiver friedlicher Machtübergang“ sollte es sein. Eine „demokratische Lösung“. Als sei Syrien eine Fakultätssitzung der Genderwissenschaften und nicht ein zutiefst gespaltenes, von Diktatur und ethnisch-konfessionellen Konflikten gezeichnetes Land. Aber das Konzept des Realismus war ja stets eine Domäne der anderen, der „Bösen“. Wer Zweifel hatte, wurde ohnehin schnell in die Schublade der kaltherzigen Zyniker oder gar der verkappten Assad-Apologeten gesteckt.
Die wunderbare Welt der westlichen Illusionen
Der Westen – oder besser gesagt, das postpolitische Moralprekariat unserer Tage – lebt bekanntlich in einer geistigen Blase, in der Komplexität durch die glorreiche Vereinfachung ersetzt wurde: „Diktator böse, Opposition gut.“ Basta. Dass „Opposition“ in diesem Fall von dschihadistischen Milizen über regional gelenkte Kriegsfürsten bis hin zu machtgierigen Clans so ziemlich alles umfassen konnte, was auch nur ansatzweise ein Gewehr halten konnte, fiel dem politischen Idealismus kaum auf. Wer braucht schon eine differenzierte Analyse, wenn die Welt sich so viel bequemer in „Hell“ und „Dunkel“ einteilen lässt?
Es wurde demonstriert, getwittert, appelliert. „Der Westen muss helfen!“ Und in diesem Hilferuf schwang die völlige Naivität mit, dass ein von außen initiierter, gewaltfreier Wandel überhaupt möglich sei. Wurde das je in der Geschichte der Menschheit erreicht? Wenn ja, dann wohl ausschließlich in den feuchten Träumen der diplomatischen Salons.
Stärke setzt sich durch
Aber dann kamen die alten Realitäten wieder einmal zurück und bissen zu. Assad wurde nicht weggezwitschert, seine Armee nicht von westlichen Mahnworten in die Flucht geschlagen. Die Opposition, so heldenhaft sie in den sozialen Medien verkauft wurde, war in Wirklichkeit ein unkoordinierter Haufen mit widersprüchlichen Agenden, in dem radikale Islamisten schnell das Sagen hatten. Und dann kam Russland, das anders als der Westen nicht an feinsinnigen Narrativen, sondern an knallharten geopolitischen Interessen interessiert war. Das Assad-Regime überlebte, weil es militärisch die besseren Karten hatte, weil es die Brutalität besaß, um sich durchzusetzen, und weil es – anders als seine Gegner – auf eine einigermaßen funktionierende Struktur zurückgreifen konnte.
Die, die heute vom Bürgerkrieg entsetzt sind, wollten einen Regime Change, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was danach passieren würde. Sie glaubten an „Demokratisierung“ durch guten Willen und erhobenen Zeigefinger. Sie ignorierten die Dynamik von Macht und Gewalt, die seit Jahrtausenden die politische Realität bestimmen. Und jetzt? Jetzt stehen sie mit offenem Mund da und beklagen das Chaos. Wie konnte das nur passieren?
Das moralische Debakel
Das eigentliche Debakel dieser tragischen Geschichte ist nicht nur das geopolitische Scheitern des Westens, sondern das moralische. Die Hybris, zu glauben, dass man durch gutes Zureden und Sanktionen eine Diktatur zum Einsturz bringen könne, ist das eine. Aber der eigentliche Skandal ist, dass man Millionen von Menschen in einen Bürgerkrieg gestürzt hat, ohne auch nur einen Gedanken an das „Danach“ zu verschwenden. Die wahren Verantwortlichen dieses Elends sind nicht nur die Akteure vor Ort, sondern auch jene, die von sicherer europäischer Warte aus ihre Wunschbilder in die Realität projiziert haben. Und wenn nun Wellen von Flüchtlingen kommen, wenn die Region weiter ins Chaos stürzt, dann ist das Geschrei wieder groß. Aber die Einsicht? Die bleibt aus.
Lektionen, die nie gelernt werden
Syrien ist nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte westlicher Selbstüberschätzung. Die Idee, dass „gute Absichten“ ausreichen, um die Welt zu retten, wurde abermals in Blut ertränkt. Doch anstatt daraus zu lernen, wird der nächste moralische Kreuzzug vorbereitet. Das nächste Land, das „gerettet“ werden muss. Die nächste Einmischung, die mit hehren Worten gerechtfertigt wird. Die nächste Katastrophe, die sich hätte vermeiden lassen, wenn die Welt nicht von Träumern, sondern von Realisten betrachtet würde.
Aber wer will das schon? Realismus ist anstrengend. Träumen ist so viel einfacher. Bis die Realität wieder zurückschlägt.