
Wie man den Kapitalismus zum Stillstand bremst, ohne die Welt zu retten
Wenn eine hochdekorierte Ökonomin wie Claudia Kemfert im Gewand der Vordenkerin der „vorsorgeorientierten Postwachstums-Ökonomie“ in den Medien auftritt, dann riecht es nach Rebellion. Nach intellektuellem Florettkampf gegen die Trägheit der Verhältnisse. Nach dem ehrenhaften Versuch, die Welt vor sich selbst zu retten. Was könnte edler sein? Doch Vorsicht, bevor wir uns im heroischen Glanz dieser Visionen verlieren: Der Weg in die klimagerechte Zukunft ist – wenn man Kemfert folgt – vor allem gepflastert mit Verzicht, Entbehrung und der Absage an das, was die westliche Welt in den letzten zwei Jahrhunderten an Wohlstand erkämpft hat. Ein kühnes Vorhaben, das so visionär ist, dass man sich beinahe fragt, ob die Apokalyptik hier nicht zur neuen Heilslehre gerinnt.
Der Fetisch des Wachstums – oder: Wie viel Fortschritt ist zu viel Fortschritt?
Wirtschaftswachstum, so lernen wir von Kemfert, ist der Ursprung allen Übels. Eine „ungezügelte“ Dynamik, die sich gierig durch den Planeten frisst wie ein metastasierender Tumor. Der Gedanke ist nicht neu, aber in der aktuellen Verpackung bekommt er eine besonders feinfühlige Aura. Hier spricht eine Ökonomin, die sich über das „gesellschaftliche Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen“ Gedanken macht. Wer könnte da widersprechen? Die Formel ist unwiderstehlich: Wir verzichten auf ein bisschen Wachstum – und die Erde atmet auf. Doch hinter dem sanften Habitus lauert eine radikale Idee: Die fundamentale Umwälzung des Wirtschaftssystems, die Abschaffung des Gewinnstrebens, die sakrale Enteignung des Privateigentums. Der Kapitalismus auf Valium, begleitet von leisen Harfenklängen und veganem Hafermilch-Kaffee.
Kreislaufwirtschaft – oder: Der Triumph des Immergleichen
Die Postwachstums-Ökonomie, wie sie Kemfert vorschwebt, hat etwas von einer ökonomischen Tupperparty. Alles bleibt im Kreislauf. Produkte werden nicht mehr produziert, sondern wiederverwertet. Abfall gibt es nicht, Verschwendung auch nicht – ein paradiesischer Kreislauf der Ressourcen, in dem alles seine Bestimmung findet. Der große Wurf? Eher eine ökonomische Beruhigungspille, die in ihrer peniblen Konsistenz an den guten alten Realsozialismus erinnert, bei dem jedes Glas Marmelade dreimal ausgekocht wurde, bevor man es mit saurem Kompott wiederbefüllte.
Gemeinwohl-Ökonomie – oder: Die schöne neue Moralwirtschaft
Besonders aufregend wird es, wenn Kemfert die Abschaffung des privaten Profitstrebens fordert. Der Einzelne, der sich bereichert, gilt ihr als Sündenfall der modernen Ökonomie. Privateigentum ist für sie ein „Fetisch“ – ein Begriff, der in seiner intellektuellen Prätention kaum darüber hinwegtäuschen kann, dass er eine der tragenden Säulen der sozialen Marktwirtschaft infrage stellt. Es ist die alte Sehnsucht der Utopisten: die Idee, dass Wohlstand nicht mehr individuell, sondern kollektiv entsteht. Dass der Staat die Wirtschaft lenkt, das Gemeinwohl definiert und der Bürger sich in den gesamtgesellschaftlichen Suchprozess einfügt. Eine Vision, die sich so wohlig altruistisch gibt, dass man fast vergisst, dass sie überall, wo sie jemals umgesetzt wurde, in Planwirtschaft und Mangelwirtschaft mündete.
Die experimentelle Gesellschaft – oder: Laborratten im Fortschrittskäfig
Kemfert fordert „Experimentierräume“ für neue gesellschaftliche Pfade. Klingt charmant. Nur dummerweise sind Experimente in der Wirtschaftspolitik selten folgenlos. Während die Ökonomin sich in postmateriellen Theorien ergeht, kämpfen Millionen Menschen in Deutschland mit steigenden Energiepreisen, schrumpfendem Wohlstand und einer Inflation, die das Ersparte auffrisst. Die Ironie ist dabei kaum zu übersehen: Während Kemfert die Rezession als „klimaschonend“ preist, erleben viele Bürger eine postwachstümliche Realität, die weniger mit planetaren Grenzen als mit leeren Portemonnaies zu tun hat.
Apokalypse als Geschäftsidee
Natürlich könnte man die ganze Debatte als spleenige Träumerei abtun, wenn nicht ein unterschwelliger moralischer Absolutismus in den Thesen mitschwingen würde. Es ist die neue Ökomoral, die sich ihrer eigenen Überlegenheit so sicher ist, dass sie keine Widerrede duldet. Der Klimaschutz wird zur absoluten Priorität, vor der alle anderen gesellschaftlichen Errungenschaften verblassen. Wachstum? Wohlstand? Freiheit? Alles verzichtbar, wenn es um das planetare Gleichgewicht geht. Und wer sich dem verweigert, der ist eben ein fossiler Kapitalismus-Fetischist, ein Auslaufmodell der Geschichte.
Epilog: Die Romantik der Schrumpfung
Das vielleicht Bemerkenswerteste an Kemferts Vision ist ihr romantischer Kern. Die Vorstellung, dass eine Gesellschaft in einem Zustand des kontrollierten Schrumpfens eine höhere Lebensqualität erreicht, ist ein uralter Traum, der in Zeiten der Krise immer wieder auftaucht. Die neue Bescheidenheit, der verordnete Verzicht, die Rückkehr zur Subsistenz – das hat etwas Verlockendes. Doch der Preis für diese Romantik ist hoch. Ohne Wachstum keine Innovation, ohne Innovation kein Fortschritt, ohne Fortschritt keine Lösung der großen globalen Probleme.
Was bleibt, ist der Verdacht, dass die Postwachstums-Ökonomie weniger eine Antwort auf die Herausforderungen der Zeit ist, als vielmehr eine intellektuelle Komfortzone für saturierte Wohlstandsgesellschaften, die sich den Luxus leisten können, auf Wachstum zu verzichten – solange der Kühlschrank noch voll ist.
Am Ende könnte sich die vermeintliche Revolution als das entpuppen, was sie in Wahrheit ist: eine melancholische Utopie für die Besserverdienenden, während die unteren Schichten schon längst in der postwachstümlichen Realität angekommen sind – nicht aus freier Entscheidung, sondern mangels Alternativen.