
HOFFENTLICH HABEN SIE EINEN SCHÖNEN BADEMANTEL
Man hört es stets freundlich, besorgt, in weichem Tonfall: „Es dient Ihrer Sicherheit.“ Jene vier Worte, die sich sanft um unsere Hirnwindungen wickeln wie eine warme Decke an einem nebligen Morgen. „Nur ein kleiner Eingriff“, versichert man uns, „eine Routinesache.“ Und selbstverständlich sei es doch im besten Interesse aller, wenn sich niemand dieser kleinen, harmlosen Überprüfung entzieht. Niemand hat etwas zu verbergen, oder? (Haben Sie etwa etwas zu verbergen?)
Die ersten, die es betrifft, sind die üblicherweise Verdächtigen: die Fahrgäste an Bahnhöfen, die Demonstranten mit allzu lauten Stimmen, die unbequemen Fragensteller. Doch dann, nach und nach, tropft die Logik der Notwendigkeit durch die Ritzen der gesellschaftlichen Normalität und sickert in den Alltag der Anständigen, der Braven, der Unpolitischen. Bis, eines Tages, ein freundlicher Beamter an Ihrer Tür klingelt und mit der beruhigenden Selbstverständlichkeit eines Arztes bei der Routineuntersuchung sagt: „Wir müssen nur kurz einen Blick auf Ihre Daten werfen.“
Und während Sie noch im Schlafanzug in der Tür stehen und zwischen der Wahl eines roten oder blauen Bademantels schwanken, spüren Sie plötzlich ein seltsames Kribbeln in der Luft: Es ist die leise, aber unaufhaltsame Ausdehnung der übergriffigen Kontrolle.
Der Segen der Totalüberwachung: Eine kleine Meditation über den Albtraum der Effizienz
Man stelle sich eine Welt vor, in der niemand mehr lügen kann. Eine Welt, in der jeder Schritt, jede Regung, jedes Augenzwinkern, das verdächtig zucken könnte, lückenlos dokumentiert und archiviert wird. „Aber das ist doch wunderbar!“, rufen die Apologeten der Transparenz. „Endlich gibt es keine Kriminellen mehr, keine Lügen, keine falschen Identitäten!“
Ja, zweifellos: Diebische Elstern würden in dieser schönen neuen Welt ebenso verschwinden wie alle, die sich gerne mal zwei Pralinen statt einer aus der Schale nehmen. Aber können wir kurz innehalten und uns fragen, ob eine Gesellschaft, in der niemand mehr etwas zu verbergen hat, nicht in Wahrheit eine ist, in der niemand mehr eine Seele besitzt?
Wer nichts mehr verstecken kann, kann auch keine Wahrheit mehr schützen. Es gibt kein intimes Gespräch mehr, keine geheimen Gedanken, keine kühnen Ideen, die zuerst im Schatten gedeihen, bevor sie ans Licht treten. Es gibt nur noch das blanke, durchleuchtete, sterile Leben – und in ihm das Echo eines stummen Schreis nach Privatsphäre.
Der Elefant im Raum: Warum alle mitspielen, obwohl keiner es will
Die wunderliche Ironie jeder anlasslosen Massenüberprüfung ist: Die meisten finden sie unheimlich, doch alle fügen sich. „Ich habe ja nichts zu verbergen“, sagen sie und verwechseln ihr individuelles Unbehagen mit einem Zeichen dafür, dass sie sich dem Kollektiv fügen müssen. „Es ist doch nur eine Kontrolle“, denken sie, während sie in ihren Postfächern nach verdächtigen Wörtern suchen, die sie nie geschrieben haben.
Doch wehe, wenn der Tag kommt, an dem die Kontrolle nicht mehr nur eine theoretische Möglichkeit ist, sondern eine kalte Tatsache in der Hand eines uniformierten Beamten. Plötzlich wächst die Ahnung, dass sich der Kreis allmählich schließt. Dass die harmlosen „Zufallsprüfungen“ von einst der Anfang eines Systems waren, in dem man nicht mehr gefragt wird, sondern sich bereits in der Antwort wiederfindet: Sie sind verdächtig, weil Sie existieren.
Der Ausgang: Ein Vorschlag, den Sie vielleicht bereuen werden
Und was nun? Könnten wir vielleicht einfach alle einmal tief durchatmen und uns klarmachen, dass Freiheit nicht in einem Wust aus Sicherheitsprotokollen gedeiht, sondern in einem Raum, der uns erlaubt, Mensch zu sein? Dass sich wahre Sicherheit nicht aus der totalen Überwachung ergibt, sondern aus der Freiheit, zu vertrauen, dass nicht jeder unser Feind ist? Dass vielleicht, nur vielleicht, der beste Schutz vor einem allsehenden Staat darin liegt, ihm nicht die Bühne zu bieten, auf der er sein groteskes Stück aufführen kann?
Oder ist es dazu schon zu spät? Falls ja, dann wäre es vielleicht an der Zeit, sich einen richtig guten Bademantel zu besorgen. Man weiß ja nie, wann die Beamten wieder vor der Tür stehen.