Die Große Koalition als Zwerghamster der Demokratie

Es gab einmal eine Zeit, in der der Begriff „Große Koalition“ nicht implizierte, dass man dem Wählerwunsch mit dem Enthusiasmus eines Steuerberaters auf Valium nachkam. Nein, damals bedeutete er, dass sich die einstigen politischen Gegner – widerwillig, aber immerhin – zur Verwaltung des demokratischen Mittelmaßes zusammenrauften. Damals, als Zahlen noch Zahlen waren und nicht bloß zufällig generierte Algorithmen, um Umfragen zu rechtfertigen, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass eine Große Koalition künftig auch eine Regierungsbeteiligung der AfD oder FPÖ bedeuten könnte. Doch die Zeiten ändern sich – oder werden geändert.

In der jetzigen politischen Großwetterlage ist das Prädikat „groß“ so anachronistisch wie eine Faxanweisung im Digitalministerium. Statt „Große Koalition“ müsste es, der Realität entsprechend, eher „gerade noch machbare Koalition“ oder „letzte Bastion gegen das, was nicht sein darf“ heißen. Denn wenn sich zwei Parteien zu einer Koalition zusammenschließen, die gemeinsam weniger als die Hälfte der Stimmen erhalten haben, dann ist das vielleicht vieles – aber sicher nicht groß.

Die Brandmauer: Denkmal oder Baugerüst?

Nun steht sie da, die vielzitierte Brandmauer. Eine Mauer, errichtet aus moralischer Empörung, sozialmedialer Echokammern und wohlfeiler Talkshow-Zitate. Ein Bollwerk der Tugend, ein Riegel vor der Hölle der politischen Verwahrlosung. Allerdings: Eine Mauer, die ständig diskutiert werden muss, ob sie noch steht, ist in etwa so stabil wie ein Pappkarton im Monsunregen.

Hier kommt Niederösterreich ins Spiel. Das beschauliche Bundesland, das urplötzlich zum „Labor der Demokratie“ erklärt wurde – eine eher euphemistische Umschreibung für „Testballon des Möglichen und Unmöglichen“. Die Volkspartei, traditionell eher das Symbol für den freundlichen Konservativismus mit Weinkelleranschluss, schließt dort eine Vereinbarung mit der FPÖ, ohne sie eine Koalition zu nennen. Ist das nun eine Möblierung der Brandmauer? Oder bloß eine Notausgangstür, die man erst öffnet, wenn der Qualm zu dicht wird?

Vom Sachzwang zur Scheindebatte: Eine Operette in drei Akten

Die Debatte über den Umgang mit „denen da“ (bitte je nach politischer Vorliebe einsetzen: Rechtspopulisten, Systemparteien, Woke-Diktatoren) führt mittlerweile zu absurdesten Stilblüten. Man gibt sich staatsmännisch besorgt, schwingt die Keule des historischen Bewusstseins, während gleichzeitig, häufig genug, in lokalen Parlamenten und Kommunen der Pragmatismus regiert: Man muss ja irgendwie arbeiten. Man kann nicht ewig moralisieren, wenn der Müll abgeholt und die Verwaltung finanziert werden muss.

TIP:  Die vergessene Integrität

Der Sachzwang, der längst zur universellen Entschuldigungspolitik verkommen ist, kriecht aus den Amtsstuben wie ein nebliger Novembermorgen. Die einst kategorische Ablehnung wird mit jedem Wahlergebnis poröser, die Brandmauer rückt immer näher an eine Art beweglichen Grenzzaun, der je nach Lage mal hier, mal dort aufgestellt wird. Die neuen Definitionen der „roten Linie“ lassen sich anpassen wie Parteiprogramme vor Wahlen.

Die Entzauberung der Demokratie und der Zynismus als neue Leitkultur

Die Demokratie hat, so scheint es, das Problem, dass sie manchmal nach demokratischen Regeln funktioniert. Wer hätte das gedacht? Parteien, die einst als pariahaft galten, werden plötzlich gesprächsfähig – nicht weil sich die Demokratie ändert, sondern weil Wahlen Ergebnisse produzieren. Und nun? Nun steht die Gesellschaft vor der unangenehmen Erkenntnis, dass Prinzipien sich nur dann gut halten, solange sie nicht auf die Probe gestellt werden.

Was bleibt, ist der Zynismus. Eine Gesellschaft, die sich auf Zynismus als neue Leitkultur einigt, hat immerhin einen Vorteil: Sie erspart sich die Enttäuschung. Denn am Ende steht die Frage: Ist die Brandmauer nun eine Bastion oder ein Feigenblatt? Die Antwort darauf dürfte wohl ebenso flüchtig sein wie politische Wahlversprechen in einer Wahlnacht.

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