
Der große Austausch – Leder gegen Plastik
Heute war ich in der „Leder“warenabteilung eines Kaufhauses. „Leder“ in Anführungszeichen, denn was einst ein Synonym für erlesene Tierhaut, Handwerkskunst und jahrhundertealte Tradition war, hat sich mittlerweile zu einem Euphemismus für petrochemische Massenproduktion entwickelt. Ich betrachtete die dort ausgestellten Handtaschen mit der bewussten Ernsthaftigkeit eines Kunstkritikers und stellte mit zunehmendem Entsetzen fest: Das echte Leder hat das Zeitliche gesegnet. Ersetzt durch Plastik, Erdöl in neuer Form, ein aufgerüsteter fossiler Brennstoff, der nun mit Hochglanzfinish und Designerlogo daherkommt.
Ich würde schätzen, dass 95 % der dort feilgebotenen Ware aus irgendeiner Art Kunststoff gefertigt sind. Mancherorts wird das synthetische Elend frech als „veganes Leder“ deklariert, als müsse man sich dafür noch bedanken. „Vegan“, dieses Wohlfühlwort der urbanen Elite, das inzwischen jede noch so absurde Marketinglüge legitimiert. Hauptsache, das Wort „vegan“ steht drauf – dann kann es auch aus gepresstem Klopapier bestehen.
Die Täuschung ist mitunter recht gelungen. Das Kunstleder imitiert das Original erstaunlich gut. Es sieht von Weitem fast aus wie echtes Leder, doch sobald man diese Kunststoffrelikte der Moderne in die Hand nimmt, erkennt man den billigen Betrug. Das Material ist warm, zu leicht, zu glatt, es fehlt ihm jegliche Authentizität. Es hat nicht den Geruch von Gerberei und jahrzehntelanger Tradition, sondern von Lösungsmitteln und Billigfabriken. Es ist keine gealterte Schönheit, sondern ein totes Material, das sich weder entwickeln noch würdevoll altern wird. Ein kurzer Glanzmoment, danach Abnutzung, Brüche, Risse, Zerfall – und am Ende der Weg in die Mülldeponie. Denn recycelbar ist dieses Wundermaterial natürlich nicht.
Die moralische Heuchelei an der Kasse
Doch das ist nicht der wahre Höhepunkt des schizophrenen Irrsinns. Nein, der folgt erst an der Kasse. Dort, wo sich entscheidet, ob man sich endgültig der geistigen Umnachtung dieses Zeitalters hingeben möchte oder nicht.
Ich, in kindlicher Unschuld, frage nach einer Plastiktüte. Nur eine kleine Tüte, um meine neu erworbene Ware – selbstredend aus Plastik – bequem nach Hause zu transportieren. Und was geschieht? Entgeisterte Blicke. Entsetzen. Entlarvt! Ich bin ein Klimazerstörer! Ein Umweltverbrecher! Die Kassiererin fixiert mich mit einem Blick, der irgendwo zwischen moralischer Entrüstung und pädagogischem Erziehungseifer liegt.
„Wir verzichten auf Plastik der Umwelt zuliebe“, sagt sie mit dem seidenweichen, doch unmissverständlich anklagenden Tonfall einer modernen Ökopriesterin.
Ich blinzele. Blicke mich um. Überall Plastik. Plastikhandtaschen. Plastikverpackungen. Plastik-Displays, auf denen mir nachhaltig zertifizierte Plastikwaren angepriesen werden. Doch die Plastiktüte – DIE Plastiktüte! – ist der Feind. Sie ist die Sünde, die verbotene Frucht, das letzte verbliebene Symbol eines ökologischen Mittelalters, das es auszurotten gilt.
Die Plastikwelt und ihre Doppelmoral
Hier zeigt sich die vollendete moralische Schizophrenie unserer Zeit: Wir ertrinken in Plastik, leben mit Plastik, tragen Plastik, aber wehe, wir wollen Plastik transportieren! Handtaschen aus Kunststoff? Wunderbar! Flaschen aus Plastik? Solange sie „recycelbar“ sind, kein Problem! Doch eine Tüte? Eine schnöde Plastiktüte? Niemals! Denn daran stirbt die Welt.
So laufen wir also mit unseren neuen Plastikhandtaschen aus dem Kaufhaus. Stolz auf unseren Beitrag zur Nachhaltigkeit. In der einen Hand das Telefon mit der Hülle aus Polyurethan, in der anderen Hand die Wasserflasche aus PET, und über der Schulter eine „vegane Ledertasche“ aus synthetischen Fasern, die in ein paar Jahren als Mikroplastik unsere Meere vergiften wird.
Aber wer bin ich, mich darüber zu beschweren? Schließlich bin ich ja derjenige, der eine Plastiktüte verlangt hat.