Von der Meinungsfreiheit zur Meinungspflicht?

Das Paradoxon der Freiheit

Freiheit ist ein schönes Wort, solange es nicht definiert werden muss. Besonders die Meinungsfreiheit – jenes herrliche, unverbrüchliche Grundrecht, das auf dem Papier der Verfassung so stolz strahlt wie die Glanzbroschüre eines Discounturlaubes, der sich in der Realität als fensterloser Keller entpuppt. Doch wie alles in einer durchregulierten Gesellschaft hat auch die Meinungsfreiheit ihre Schattenseiten – vor allem dann, wenn sie zu viel Freiheit enthält. Zum Glück gibt es in Deutschland und der EU findige Gesetzgeber, die dem Wildwuchs des Sagbaren durch wohlmeinende Regularien Einhalt gebieten.

Heiko Maas, der Pionier des Sagbaren

Im Jahre 2017/18 geschah das Unvermeidliche: Die Regierung erkannte, dass Menschen im Internet unerwünschte Dinge sagen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das als Heiko Maas‘ juristisches Meisterwerk in die Annalen einging, verpflichtete soziale Netzwerke zur umgehenden Löschung strafbarer Inhalte. Dass „strafbar“ dabei eine flexible Kategorie ist, wurde nicht nur von wohlmeinenden Netzwerkanbietern erkannt, sondern auch von jenen, die sich plötzlich wegen vermeintlich ironischer Tweets im digitalen Orkus wiederfanden.

Das Gesetz schuf eine neue Ordnung der Meinungsäußerung: Wer etwas sagt, das möglicherweise jemand anderen beleidigen könnte – ob er es so meinte oder nicht, spielt keine Rolle –, muss sich darauf einstellen, dass seine Worte mit der Präzision eines chirurgischen Eingriffs entfernt werden.

Die Definition des Hasses

2020 entschied sich die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, der Meinungsfreiheit einen weiteren freundlichen Maulkorb zu verpassen. Hasskriminalität, das neue Buzzword der digitalethischen Elite, wurde zum justiziablen Tatbestand erklärt. Das Problem dabei: Was Hass ist, bestimmt nicht der Sprecher, sondern der Empfänger.

Ein unglücklich formulierter Kommentar, eine ironische Bemerkung oder ein satirischer Seitenhieb? Lieber vorsorglich löschen! Denn es könnte ja jemanden geben, der sich betroffen fühlt – und in einer Demokratie ist es selbstverständlich oberste Pflicht, möglichst niemanden zu kränken. Wer braucht schließlich eine Debatte, wenn Konsens auch durch Verordnung hergestellt werden kann?

TIP:  500 Tage

EU-Regulierung für eine bereinigte Debatte

Europa ist bekannt dafür, ein Faible für Regularien zu haben. Ob Krümmungsgrade von Bananen oder die exakte Lautstärke von Staubsaugern – Brüssel reguliert mit Hingabe. Da war es nur konsequent, auch die Meinungsfreiheit in die liebevollen Arme der bürokratischen Mutter EU zu nehmen. Der Digital Services Act, federführend unter Ursula von der Leyen durch Margrethe Vestager und Thierry Breton gestaltet, trat 2024 in voller Pracht in Kraft.

Ziel: Illegale Inhalte schneller entfernen. Problem: Die Definition von „illegal“ ist so dehnbar wie ein Politiker-Versprechen vor der Wahl. Ergebnis: Plattformen greifen lieber zur digitalen Machete, als sich dem Risiko eines Rechtsstreits auszusetzen. Ein Rant über politische Missstände? Könnte Desinformation sein. Ironie? Besser nicht. Sarkasmus? Kritisch. Besser ist: „Ja, alles ist wunderbar, danke Brüssel!“

Terror oder Meinungsdelikt?

2021 setzte die EU mit einer weiteren Regelung noch einen drauf: Innerhalb einer Stunde müssen „terroristische Inhalte“ gelöscht werden. Nun ist Terrorismus eine ernste Sache, aber was genau darunterfällt, bleibt – sagen wir – interpretationsfreudig.

Was, wenn ein Historiker eine kritische Auseinandersetzung mit radikalen Ideologien postet? Oder ein Journalist investigativ zu den Strukturen extremistischer Gruppen berichtet? Ach, was soll’s! Sicher ist sicher, runter mit dem Zeug! Das Wort „Terror“ alleine reicht aus, um zur digitalen Persona non grata zu werden. Schließlich gilt: Ein freies Netz ist ein sauberes Netz – und ein sauberes Netz ist eines, in dem nichts Störendes gesagt wird.

Die Meinung ist frei – wenn sie genehmigt ist

Wen juckt schon das Grundgesetz, wenn der moralische Kompass der Exekutive doch viel feinfühliger ist? Wir leben in einer Zeit, in der die Demokratie durch ihre eigenen Vertreter vor zu viel Demokratie geschützt wird. Ist das nicht wundervoll? Eine Welt ohne Hass, ohne Desinformation, ohne unbequeme Wahrheiten.

Also, liebe Bürger, atmet auf: Eure Meinung ist nach wie vor frei. Ihr müsst euch nur gut überlegen, ob ihr sie auch äußern wollt. Aber keine Sorge – wenn nicht, dann tut das bald schon ein Algorithmus für euch.

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