Die neue Weltordnung für Anfänger

Begriffe, die wir jetzt lernen sollten:

Rumpfukraine, Pufferzone, EU-Friedenstruppen, besetzte Gebiete

Nun denn, wir waren naiv. Hielten Karten für sakrosankt, Grenzen für unverschiebbar, Staatsgebilde für unantastbar. Doch Geografie ist kein Schicksal, sondern eine Verhandlungsmasse, insbesondere, wenn man auf der falschen Seite des Tisches sitzt.

Die Rumpfukraine – klingt das nicht herrlich sachlich, beinahe technisch? Ein Begriff, der mit der kühlen Eleganz eines Chirurgenhandgriffs daherkommt, ein sauberer Schnitt durch die Landkarte. Was bleibt übrig, wenn die strategisch wertvollen Gebiete verdaut sind? Eben ein Rumpf, ein Rest, ein nachträglicher Gedanke.

Und dann die Pufferzone – das Lieblingswort alter Diplomaten und junger Strategen. Puffer, das klingt so weich, so sanft, fast schon bequem. Als ob dort nicht Stacheldraht und Minenfelder liegen, sondern Kissen und Daunendecken. Ein Bereich, den man nicht direkt besetzt, aber sicherstellt, dass dort niemand unfreundlich gesinnt ist – jedenfalls nicht zu den richtigen Leuten.

Die EU-Friedenstruppen – die Diminutivform militärischer Macht. Sie kommen nicht, um zu siegen, sondern um zu „stabilisieren“. Wobei Stabilität oft bedeutet, dass sich die alte Ordnung nur zementiert, nur eben mit freundlicherer PR. Ein Kompromiss, der allen wehtut – aber dem einen ein bisschen weniger als dem anderen.

Und natürlich die besetzten Gebiete – ein dehnbarer Begriff. Besetzt von wem? Für wie lange? Auf welche Weise? Das schöne an geopolitischer Semantik ist, dass sie wandelbar bleibt. Besetzt kann befreien bedeuten, befreien kann besetzen bedeuten. Kommt ganz darauf an, wer die Pressemitteilung schreibt.

Begriffe, die wir wieder lernen werden:

Nordstream, Atomkraftwerk

Ach ja, die gute alte Energiepolitik! Immer wieder ein Quell der Erleuchtung. Zunächst die Abkehr, dann der moralische Rigorismus, dann das bittere Erwachen.

Nordstream – der Name eines Pipelinensystems und eines geopolitischen Trauerspiels. Erst war es eine Verbindung, dann ein Streitobjekt, dann ein Wrack auf dem Meeresgrund. Und plötzlich schwingt wieder ein leiser Zweifel mit: War es vielleicht doch keine so schlechte Idee, mit dem Teufel zu handeln? Wenn der Winter kalt wird, bekommen Prinzipien oft Frostbeulen.

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Und dann das Atomkraftwerk – Symbol für alles, was wir nicht wollten, bis wir merkten, dass die Alternative noch schlimmer ist. Plötzlich sind sie wieder da, die langen Artikel über „moderne Reaktortechnologie“, über „energiepolitische Realitäten“. Dass der deutsche Atomausstieg ein Musterbeispiel an Kurzsichtigkeit war, wird nun wieder ein diskussionswürdiges Thema. Ironie des Schicksals: Die alten Anlagen wurden abgeschaltet, und nun importieren wir munter Atomstrom aus dem Ausland. Nur eben ohne eigene Kontrolle. Großer Wurf, wirklich.

Begriffe, die wir weiter vermissen werden:

Abrüstung

Ach, du schönes, sanftmütiges Wort. Es roch nach Gipfeltreffen, nach Friedensdividende, nach optimistischen UNO-Resolutionen. Ein Konzept, das in der Welt von heute so antiquiert wirkt wie ein Brieftauben-Service.

Abrüstung ist das Versprechen, das nur gehalten wird, wenn es gerade opportun ist. Wir sind realistischer geworden. Wir reden nicht mehr von Abrüstung, sondern von „angemessener Verteidigungsbereitschaft“. Ein anderes Wort für „Aufrüstung“, aber eben so formuliert, dass es den Schlaf der Vernunft nicht allzu sehr stört.

Und während sich Panzerketten in den Straßenasphalt graben, während sich Rüstungshaushalte aufblasen wie ein Bodybuilder auf Steroiden, bleibt nur noch eine Frage offen: Wann genau haben wir eigentlich aufgehört zu glauben, dass Geschichte Fortschritt bedeutet?

The show must go on.

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