
Man könnte meinen, dass ein Konzept wie „Grundrechte“ in einer demokratischen Gesellschaft hinreichend verstanden wird. Schließlich ist es ja keine Kunst, das Wort auseinanderzunehmen: „Grund“ – also etwas Fundamentales, und „Rechte“ – nicht etwa nette Vorschläge oder freundlich gemeinte Empfehlungen, sondern Rechte. Harte Rechte. Rechte, die nicht verhandelbar sind, Rechte, die im Zweifel mit Zähnen und Klauen gegen jede Form von Übergriffigkeit verteidigt werden müssen. Und doch sieht man immer wieder, wie dieses Konzept, das so einfach scheint, behandelt wird wie ein unliebsames Möbelstück: verschoben, verhüllt, missverstanden – und gelegentlich mit fragwürdigem Wohlwollen als staatliches Geschenk verpackt.
Dabei ist es so einfach: Grundrechte sind keine Gnade des Staates, sondern Abwehrrechte gegen denselben. Es ist, als würde jemand auf einem Schild „Betreten verboten“ lesen und daraus schließen, dass es sich um eine Einladung handelt, mit dreckigen Stiefeln die Schwelle zu überschreiten.
Warum Freiheit nicht kuschelig sein darf
Es gibt eine seltsame Faszination für den Staat als eine Art übermächtige Elternfigur. Diese Vorstellung, dass Freiheit gewissermaßen „zugeteilt“ wird, wie Taschengeld an brave Kinder, ist nicht nur falsch, sondern zutiefst gefährlich. Man hört es ja oft: „Die Regierung muss uns doch schützen!“ oder „Der Staat sorgt für unser Wohl!“ Klingt nett, nicht wahr? Fast so, als ob man den Löwen bitten würde, einen vor den Wölfen zu bewahren. Aber niemand scheint zu bemerken, dass der Löwe längst an einem Filetstück kaut, das ehemals Ihr linker Oberschenkel war.
Man muss sich klarmachen, dass der Staat keine moralische Instanz ist. Er ist eine Institution. Er ist, in der besten Lesart, ein notwendiges Übel, das reguliert, was ohne Regulierung im Chaos enden würde. Ihm jedoch die Rolle des großen Beschützers zuzuschreiben, ist nicht nur naiv, sondern eine Einladung zur Tyrannei. Ein Staat, der Ihnen sagt, was er Ihnen erlaubt, ist ein Staat, der Ihnen jederzeit alles verweigern kann.
Die Umkehr der Beweislast
Es ist ja schon grotesk: Der Staat ist der Einzige in diesem Spiel, der Waffen hat, der Einzige, der Gesetze durchsetzen kann, und der Einzige, der, sollte es schiefgehen, mit einem Schulterzucken davonkommt. Und dennoch wird von den Bürgern verlangt, in einer Art grenzenlosem Stockholm-Syndrom zu leben, immer bereit, die Hand zu küssen, die sie füttert, auch wenn dieselbe Hand sie vorher geschlagen hat. Es ist eine seltsame Perversion, dass Grundrechte – also die Schutzschilde gegen staatliche Willkür – von denselben Instanzen „gewährt“ werden sollen, die sie jederzeit abschaffen könnten.
Wäre es nicht an der Zeit, das Spiel umzudrehen? Sollten wir nicht den Staat unter Generalverdacht stellen, statt ständig zu rechtfertigen, warum wir unsere Freiheit haben wollen? Es ist, als würde man in einem Restaurant sitzen, der Kellner bringt Ihnen ein Haar in der Suppe, und Sie danken ihm dafür, dass es nur eins war.
Das Märchen von der guten Absicht
Natürlich hört man immer wieder das Argument, dass all diese Eingriffe in unsere Freiheit „zu unserem Besten“ geschehen. Die Kameraüberwachung, die Kontenschnüffelei, die Einschränkung von Versammlungen – all das diene doch nur dem Schutz der Bürger. Das Problem mit „guten Absichten“ ist jedoch, dass sie der Wegbereiter für die schlimmsten Katastrophen sind. Wie heißt es so schön? Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert – und der Staat ist der eifrige Straßenbauer.
Hierin liegt die große Gefahr: Der paternalistische Staat, der vorgibt, nur das Beste für seine Bürger zu wollen, ist wie ein Metzger, der behauptet, die Kuh zu schlachten, damit sie nicht mehr friert. Das Ergebnis bleibt dasselbe, egal wie rührend die Absicht dargestellt wird.
Freiheit ist unbequem – Und das ist gut so
Der Kern des Problems ist wohl, dass viele Menschen Freiheit nicht als etwas Schützenswertes betrachten, sondern als ein nettes Extra. Man könnte es fast als eine Art faulen Hedonismus beschreiben: Freiheit ist schön, solange sie nicht anstrengend wird. Aber Freiheit ist anstrengend. Sie ist unordentlich, unbequem und erfordert Wachsamkeit.
Es gibt keinen leichteren Weg zur Tyrannei, als die Bürger davon zu überzeugen, dass Freiheit zu kompliziert sei. „Sollen die da oben doch alles regeln“ – das ist der erste Schritt in den Käfig. Der Käfig mag golden sein, mag komfortabel gepolstert sein, aber am Ende bleibt er ein Käfig. Freiheit bedeutet, dass man den Schlüssel in der Hand hält – auch wenn es bedeutet, dass man hin und wieder die Tür selbst öffnen muss, statt sich bedienen zu lassen.
Warum es uns alle betrifft
Die Wahrheit ist unbequem: Grundrechte sind nicht dazu da, Ihnen das Leben einfacher zu machen. Sie sind da, um es sicherer zu machen – sicher vor Willkür, vor Machtmissbrauch, vor der schleichenden Erosion Ihrer Selbstbestimmung. Wenn wir weiterhin so tun, als ob diese Rechte bloß freundliche Geschenke wären, machen wir uns selbst zum Komplizen unserer Knechtung.
Am Ende bleibt nur die Frage: Wollen Sie der Löwe sein – oder die Gazelle? Denken Sie daran, bevor Sie das nächste Mal die Freiheit für ein bisschen Sicherheit eintauschen. Denn wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren. Und das ist kein kluges Geschäft, sondern schlichtweg dumm.