Naziland 2.0

Die Kunst, sich in moralischer Selbstgefälligkeit zu suhlen

Es war ein Satz, der in seiner Einfalt bestechend war, und doch hallte er durch die Medienlandschaft wie der Donner eines Sommergewitters, das plötzlich aus heiterem Himmel losbricht: „Es ist wieder so, dass wir das Naziland sind.“ Reinhard Fendrich, einst gefeierter Sänger und selbsternannter Kommentator des Zeitgeschehens, ließ diesen verbalen Molotowcocktail im Kontext eines Interviews über Österreichs politischen Zustand fallen. Was folgte, war erwartbar: Empörung, Zuspruch und vor allem die wiederkehrende Frage, die so oft im Raum steht, wenn sich Prominente zu politischen Themen äußern: Warum zur Hölle sagt er so etwas?

Der Vergleich, der keiner ist

Beginnen wir mit der ersten und offensichtlichsten Kritik: der Begriff „Naziland“. Es ist eine semantische Granate, die Fendrich hier wirft, eine bewusste Zuspitzung, die in ihrer groben Vereinfachung nicht nur die historischen Dimensionen des Nationalsozialismus missachtet, sondern auch den mühsamen Weg der Aufarbeitung ignoriert, den Länder wie Österreich – wenn auch widerwillig und oft schleppend – seit 1945 beschritten haben. Die 90er Jahre, auf die er sich bezieht, waren sicherlich geprägt von Fremdenfeindlichkeit, populistischem Aufwind und skandalträchtigen Politikern, die im Nachhinein eher als Karikaturen denn als ernstzunehmende Führungsfiguren erscheinen. Doch Naziland? Wirklich?

Der Begriff impliziert, dass die systematische Vernichtung von Millionen Menschen, die Entrechtung ganzer Bevölkerungsgruppen und die Errichtung eines totalitären Terrorregimes mit den zeitgenössischen Missständen gleichzusetzen seien. Das ist nicht nur historisch falsch, sondern auch moralisch fragwürdig. Wer das Leid der Opfer der Shoah auf diese Weise relativiert, begibt sich auf gefährliches Terrain. Und nein, Herr Fendrich, der Verweis darauf, dass Sie es „ja nicht so gemeint haben“, reicht hier nicht. Wer mit solchen Worten jongliert, muss auch bereit sein, die Konsequenzen ihrer Bedeutung zu tragen.

Die Pseudo-Moral der Empörung

Doch warum tut er es? Warum spricht jemand wie Reinhard Fendrich, der zweifellos kein dummer Mann ist, mit solcher Verbitterung? Die Antwort liegt in der Versuchung des Moralisierens. Es ist ein süßer Nektar, diese moralische Überlegenheit, die man spürt, wenn man sich als Verteidiger der Gerechtigkeit, der Menschlichkeit, ja, der Demokratie selbst in Szene setzt. In einer Welt, die zunehmend von Unsicherheiten und Ambivalenzen geprägt ist, bietet der Vergleich mit dem Nationalsozialismus eine scheinbare Klarheit. Es gibt die Guten – und das sind selbstverständlich wir – und die Bösen, die irgendwo da draußen lauern, hinter Stammtischen und Wahlurnen. Ein solcher Vergleich, so infam er auch sein mag, erzeugt Aufmerksamkeit und erlaubt es, sich selbst auf die Seite der moralischen Sieger zu schlagen.

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Doch genau hierin liegt die eigentliche Gefahr: die Inflation der Begriffe. Wenn alles, was uns heute nicht passt – ob das nun die Politik der FPÖ, der Klimawandel oder die schlechte Laune eines Nachbarn ist – mit dem Nationalsozialismus verglichen wird, entwerten wir nicht nur die Einzigartigkeit dieses historischen Verbrechens, sondern auch die Ernsthaftigkeit unserer eigenen Argumente. Es wird zum rhetorischen Bumerang, der schneller zurückkommt, als man ihn geworfen hat.

Humor und die Abgründe der Zynik

Aber, seien wir ehrlich, es gibt auch eine humorvolle Seite an der ganzen Sache. Der Gedanke, dass ausgerechnet Österreich – das Land, das sich jahrzehntelang damit abmühte, seinen Status als „erstes Opfer des Nationalsozialismus“ zu verteidigen, obwohl die historische Realität eine ganz andere Sprache spricht – nun plötzlich wieder zum „Naziland“ mutiert sein soll, hat eine gewisse absurde Komik. Man stellt sich vor, wie die Alpen plötzlich mit Hakenkreuzen übersät sind, Kühe „Sieg Heil“ muhen und die Sachertorten im Café Demel in Form von Swastikas serviert werden. Es ist eine groteske Karikatur, die Fendrich hier skizziert – vielleicht unfreiwillig, aber doch von einer schrägen Theatralik geprägt.

Die Verhöhnung der Opfer

Doch der Humor endet dort, wo die Opfer des Nationalsozialismus ins Spiel kommen. Denn jeder Satz wie dieser ist eine Ohrfeige für jene, die den Holocaust überlebt haben, für die Nachfahren derer, die in Auschwitz, Sobibor oder Buchenwald ermordet wurden, und für jene, die heute noch mit den Traumata ihrer Familiengeschichte kämpfen. Es ist eine erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber der Schwere dieser Verbrechen, die in solchen Äußerungen zum Vorschein kommt. Und es ist bezeichnend für eine Gesellschaft, die, so scheint es, den moralischen Kompass im Diskurs zunehmend verliert.

Ein Aufruf zur Präzision

Es wäre zu einfach, Fendrich nur zu verurteilen. Seine Aussage ist ein Symptom einer größeren Krise: der Krise des öffentlichen Diskurses. Wir leben in einer Zeit, in der Worte immer weniger wiegen und Vergleiche immer lauter werden. Es ist ein Zeitalter der Übertreibung, der Hyperbole, in dem man glaubt, nur noch mit der Keule gehört zu werden. Doch gerade deshalb ist es wichtiger denn je, sprachliche Präzision einzufordern. Wenn wir alles, was uns nicht passt, mit dem schlimmsten Kapitel unserer Geschichte gleichsetzen, berauben wir uns der Möglichkeit, die tatsächlichen Probleme zu benennen und zu lösen.

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Das letzte Wort

Lieber Reinhard Fendrich, vielleicht war Ihr Satz gut gemeint, ein Appell an die Menschlichkeit, eine Warnung vor dem Abdriften in autoritäre Strukturen. Doch die Geschichte lehrt uns, dass der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert ist. Mögen Ihre Worte ein Weckruf sein – nicht vor dem „Naziland“, sondern vor der Gefahr, dass wir durch solche Vergleiche die Fundamente unserer Diskussionskultur und unserer Erinnerungskultur untergraben. Ein bisschen weniger Pathos und ein bisschen mehr Nachdenken würden uns allen guttun. Oder, um es in Ihren eigenen Worten zu sagen: „Es lebe der Sport!“ Aber vielleicht gilt das auch für den intellektuellen Muskel.

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