
„Ich interessiere mich nicht für Politik.“
wie der stolz geschwellte Ausruf: „Ich interessiere mich nicht für Politik.“ Es ist eine Form intellektueller Selbstermächtigung, ein Akt symbolischen Widerstands, der dem postmodernen Mantra „Ignoranz ist Stärke“ neue Dimensionen verleiht. In einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint, wirkt das Desinteresse an Politik wie der letzte verbliebene Luxus, den man sich leisten kann, ein rebellisches Schulterzucken gegenüber der unhöflichen Realität. Doch ist es das wirklich? Oder ist es nur der dümmliche Versuch, in einem brennenden Haus friedlich weiterzuschlafen, während der Rauchmelder sich heiser schreit?
Beginnen wir mit der Frage: Was genau steckt hinter diesem Stolz, mit dem Menschen verkünden, sich nicht für Politik zu interessieren? Es ist ein Stolz, der in seiner Struktur fast religiös anmutet. Der Apostel der Ignoranz sagt: „Ich will rein bleiben. Unbefleckt von all den dreckigen Machenschaften der Mächtigen.“ Das klingt zunächst hehr, nicht wahr? Ein Hauch von Rousseauschem Idealismus schwebt über dieser Haltung – die Reinheit der Seele bewahren, sich nicht korrumpieren lassen durch die Niederungen der Realpolitik. Doch dieser vermeintliche Idealismus ist nichts anderes als eine dünn verpackte Kapitulation. Eine, die man euphemistisch als „Neutralität“ verkauft, während man gemütlich mit einem Eiskaffee auf der Titanic sitzt und lässig bemerkt, dass der Eisberg sicher auch seine Gründe hatte.
Die Wahrheit ist: Politische Ignoranz ist keine Reinheit, sondern Dekadenz. Es ist ein Privileg, das nur jenen zusteht, die glauben, dass die Welt auch ohne ihr Zutun irgendwie in Ordnung bleibt. Wer keine Angst haben muss, ob die nächste Wahl ein totalitäres Regime an die Macht bringt, wer sich nie Sorgen um seine Grundrechte machen musste, wer nie fürchtete, dass ein verirrter Drohnenangriff auf die falsche Postleitzahl niedergeht, der kann sich leisten, Politik zu ignorieren. Es ist der Champagner-Sozialismus der Gedankenwelt: süffig, berauschend, und völlig entkoppelt von der Lebensrealität der meisten Menschen.
Ein Fest für die Tyrannen
Man könnte meinen, dass der kollektive Rückzug ins Private ein unschuldiges Phänomen ist. Menschen wollen einfach ihre Ruhe, nicht wahr? Sie wollen Netflix schauen, ihre 10.000 Schritte am Tag machen und hin und wieder ein Selfie vor einem Sonnenuntergang posten. Doch in Wahrheit ist diese Apathie ein Geschenk für all jene, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Politische Apathie ist keine neutrale Haltung. Sie ist die aktive Ermächtigung der Machtlosen, indem man den Mächtigen das Feld überlässt.
Martha Gellhorn hatte recht, als sie die stolze Ignoranz in Politik mit der Verleugnung der eigenen Gesundheit verglich. Der Mensch, der Politik ignoriert, ist wie jemand, der einen wuchernden Tumor mit einem freundlichen Lächeln übersieht, weil die Realität einfach zu unbequem ist. Währenddessen sitzen die Strippenzieher der Welt in ihren gläsernen Türmen, lachen sich ins Fäustchen und murmeln leise: „Perfekt. Je weniger die Leute mitreden wollen, desto einfacher für uns, die Regeln zu schreiben.“
Die Politik der Avocado-Toast-Generation
Natürlich gibt es eine Sonderform der politischen Ignoranz, die sich in den sozialen Medien besonders wohlfühlt: die Lifestyle-Politik. Es ist diese wunderbar selektive Haltung, bei der man sich „für die richtigen Dinge“ interessiert – Klimaschutz, Menschenrechte, Diversity – allerdings nur so lange, wie man dafür nicht den eigenen Lifestyle ändern muss. „Nachhaltigkeit ist wichtig,“ sagt die Influencerin, die jeden Monat neue Outfits für ihre 100.000 Follower präsentiert. „Gleichberechtigung zählt,“ murmelt der Tech-Milliardär, der in seinen Unternehmen Gewerkschaften verhindert.
Diese Form von Politikverständnis hat etwas Bequemes, etwas Kuscheliges. Sie erlaubt es, sich moralisch überlegen zu fühlen, ohne jemals wirklich etwas zu riskieren. Es ist der vegane Cheeseburger der politischen Welt: ein Widerspruch in sich, aber immerhin instagrammable.
Humor als letzte Zuflucht
Doch bevor wir uns völlig in den Abgrund des Zynismus stürzen, sei eine versöhnliche Note erlaubt: Der Mensch ist ein anpassungsfähiges Wesen. Auch wenn der derzeitige Zustand der Welt einem dysfunktionalen Jahrmarktskarussell gleicht, das wahlweise in Flammen steht oder von einem wütenden Clown gesteuert wird, gibt es Hoffnung. Denn die Erkenntnis, dass man Politik nicht ignorieren kann, kommt oft auf leisen Sohlen, aber sie kommt. Sie kommt, wenn der Strom plötzlich teurer wird, wenn die Straße vor der Haustür zur Schlaglochhölle wird, oder wenn der Bus, den man seit Jahren nimmt, auf mysteriöse Weise nicht mehr existiert.
Vielleicht brauchen wir also nicht mehr Zynismus, sondern mehr Humor. Einen Humor, der nicht resignativ ist, sondern aktiv. Der die Absurditäten der Welt aufdeckt und sie auf die Spitze treibt. Denn wie schon Kurt Tucholsky wusste: „Was darf die Satire? Alles.“
In diesem Sinne: Interessieren Sie sich ruhig nicht für Politik. Aber beschweren Sie sich bitte nicht, wenn der Eisberg Ihr Eiskaffee-Glas trifft.