
Es gibt sie, diese unschuldigen Minuten des Tages, in denen man sich fragt: Ist das alles wirklich so schlimm? Vielleicht täusche ich mich, und Österreich, dieses in Form eines Schnitzels materialisierte Land, ist gar nicht der Testlauf für den Zerfall der liberalen Demokratie. Vielleicht ist das Ganze nur eine gigantische Inszenierung, eine Art metaphysisches Kabarett, in dem wir alle Statisten sind. Doch dann blättert man durch die Nachrichten, hört einen weiteren Politiker Worte wie „Heimat“, „Leistung“ und „Sicherheit“ aneinanderreihen, und merkt: Nein, es ist ernst. Ernst, aber auf die unnachahmliche österreichische Weise. Also doch, Karl Kraus hatte recht. Der Weltuntergang wird hier nicht nur probiert, er wird generalstabsmäßig einstudiert.
Wo das Kleine das Große imitiert
Österreich war schon immer ein Land, das groß sein wollte, obwohl es nur winzig ist. Ein Land, das seine Kaisergräber mit der gleichen Ernsthaftigkeit pflegt wie seine Kaffeekultur. Doch in dieser Mischung aus Selbstüberschätzung und Provinzialität liegt der Kern des Problems: Hier werden nicht bloß Experimente durchgeführt, hier wird kopiert, was die Großen vormachen. Der amerikanische Trumpismus? Oh ja, den können wir auch, nur kleiner, provinzieller, mit einem Schuss alpenländischem Charme. Eine Marine Le Pen? Wir haben ihre Vorstufe längst, inklusive der Mischung aus pseudointellektuellem Getue und xenophobem Kern.
Es ist, als ob Österreich eine Art Folklore-Version des rechten Populismus anbietet – ein politischer Heurigenabend, bei dem man sich zwar über die Flüchtlingspolitik echauffiert, aber trotzdem noch einen Apfelstrudel dazu serviert bekommt. Und genau das macht die Sache so gefährlich. Denn was hier geschieht, hat eine Sanftheit, eine Trägheit, die das eigentliche Gift überdeckt.
Der Chor der Biedermänner
In Österreich geschieht der Abstieg in die Abgründe der Demokratie nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit einem harmonischen Walzer. Hier sitzt das rechte Gedankengut nicht in einer Randgruppe, sondern gemütlich mitten im Wohnzimmer, trinkt einen Grünen Veltliner und erzählt, warum „wir uns das alles nicht mehr gefallen lassen dürfen“. Es wird nicht gebrüllt, es wird genickt. Nicht randaliert, sondern genussvoll gejammert.
Die Medienlandschaft? Ein Chor von Biedermännern, die den Brandstiftern bereitwillig die Bühne bieten. Jede noch so absurde These wird mit einem höflichen „Man muss das auch mal aus seiner Perspektive sehen“ legitimiert. Jeder noch so platte Angriff auf Minderheiten wird als „Debattenbeitrag“ verkauft. Und so sitzt man da, als aufgeklärter Bürger, und merkt, wie die Luft um einen immer dünner wird – während alle um einen herum behaupten, es sei doch nur ein Lüftchen.
Österreich als Heimat der Selbstmitleid-Avantgarde
Österreichische Politik ist nicht die Kunst des Handelns, sondern die des Jammerns. Und hier wird die Sache endgültig kafkaesk. Denn in Österreich hat man nicht bloß Angst vor dem Fremden, sondern auch vor sich selbst. Die populistische Erzählung ist so wirkmächtig, weil sie ein Grundbedürfnis befriedigt: das Bedürfnis, sich als ewiges Opfer zu sehen. Die EU? Bevormundet uns. Die Ausländer? Überfordern uns. Die Linken? Machen uns fertig. Es ist ein durch und durch destruktives Narrativ, das alles Fremde als Bedrohung und alles Neue als Zumutung empfindet.
Und doch: Man kann dem Ganzen nicht böse sein. Österreich hat eine Art, selbst seine destruktivsten Tendenzen mit einem charmanten Augenzwinkern zu verkaufen. Hier wird die Demokratie zwar gerade in ihre Einzelteile zerlegt, aber immerhin mit einem hübschen Dialekt.
Der Abgrund mit Schlagobers
Und so kommt man zurück zu Kraus. Österreich als Versuchsstation des Weltuntergangs – das passt, weil das Land eine unheimliche Fähigkeit hat, seinen eigenen Niedergang zu feiern. Das Ganze ist keine Tragödie, sondern eine groteske Komödie. Man könnte fast meinen, das Land genieße es, der Welt zu zeigen, wie es geht, wenn es bergab geht.
Aber am Ende bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Denn der Testlauf, der hier gerade stattfindet, hat globale Konsequenzen. Österreich mag klein sein, aber seine Botschaften sind groß. Es zeigt, wie schnell die liberale Demokratie zerbröseln kann, wenn man den autoritären Versuchungen nachgibt.
Ein Schmunzeln mit Gänsehaut
Vielleicht hat Österreich noch eine Chance. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, die Schraube zurückzudrehen. Aber dafür müsste das Land aufhören, sich selbst als Opfer zu inszenieren, und anfangen, Verantwortung zu übernehmen. Das Problem ist nur: Wer will schon die Hauptrolle in einem Drama spielen, wenn die Komödie so viel mehr Applaus bringt?