Von Werkshallen zu Villen – Die Revolution des Sparens

Volkswagen und die Kunst des „Wirtschaftens“ – Ein Leitfaden für Krisen, Dividenden und andere Ungerechtigkeiten

Volkswagen, einst das Symbol deutschen Ingenieursgeistes, ist nun der Inbegriff wirtschaftlicher Schizophrenie. Während 30.000 Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer fallen sollen und 120.000 Mitarbeiterinnen um ihre Zukunft bangen, winken den Aktionären satte 4,5 Milliarden Euro an Dividenden – ein Betrag, der selbst in den exklusivsten Kreisen der Börseneliten für anerkennendes Nicken sorgen dürfte. Es ist ein Widerspruch von epischen Ausmaßen, der nicht nur den Wirtschaftsteil, sondern auch die moralische Integrität eines ganzen Systems erschüttert.

Doch werfen wir zunächst einen Blick auf die Kernfrage: Wie schafft es ein Konzern, solche Summen an der Börse zu verteilen, während er gleichzeitig seine Belegschaft mit Kürzungen in die Knie zwingt? Spoiler: Es hat wenig mit „notwendigen Sparmaßnahmen“ zu tun und alles mit einer Managerphilosophie, die eher an Königshöfe des Barock erinnert als an moderne Betriebsführung.

Das Märchen vom „alternativlosen Sparkurs“

Jede Krise braucht ihre Geschichte, und bei VW heißt sie: „Wir müssen sparen.“ Konkret: 4 Milliarden Euro. Gleichzeitig wird die stolze Summe von 4,5 Milliarden an Dividenden ausgeschüttet. Ein Sparkurs, der auf dem Papier nur für eine Zielgruppe zu gelten scheint – die Belegschaft.

Aber Moment mal, lassen wir kurz die Mathematik sprechen: Eine durchschnittliche VW-Arbeiterin verdient etwa 48.900 Euro im Jahr. Mit den 4,5 Milliarden Euro Dividenden könnte man genau 92.024 Jahre lang diesen Lohn bezahlen. Oder in moderner VW-Sprache: Man könnte etwa 2.000 Arbeiterinnen für ihr gesamtes Arbeitsleben durchfinanzieren. Was die Aktionäre wohl dazu sagen würden? Vermutlich: „Das ist nicht unser Problem.“

Natürlich wird diese Art des Wirtschaftens vom Management als „unumgänglich“ verkauft. Doch ist es wirklich alternativlos, die Kosten bei jenen einzusparen, die am Band stehen und die eigentliche Arbeit verrichten? Die Antwort lautet: Nein. Aber Alternativen bringen bekanntlich keine Boni.

Aktionäre lieben Dividenden (und Schweigen)

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. VW mag in China Verluste schreiben, aber die Dividende bleibt sakrosankt. Schließlich sei es nur fair, den Aktionären „angemessene Renditen“ zu bieten, heißt es aus Wolfsburg. Ein verständlicher Gedanke – wenn man den Maßstab für „Angemessenheit“ irgendwo zwischen Exzess und völliger moralischer Taubheit anlegt.

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Man könnte argumentieren, dass die Dividende eine Art Belohnung für Risiko sei, das die Aktionäre tragen. Doch wo liegt das Risiko, wenn ein Unternehmen immer zuerst bei den Angestellten spart und zuletzt bei den Ausschüttungen? In dieser Logik ist das Schicksal der Beschäftigten die Versicherungspolice der Börsianer.

Und die Vorstandsgehälter? CEO Oliver Blume kassiert fast 10 Millionen Euro jährlich. Das ist genug, um die Hälfte einer mittleren Kleinstadt zu versorgen – oder, falls nötig, ein paar Superyachten vollzutanken.

Die verpasste grüne Wende – Ein Lehrstück in schlechter Führung

Man könnte meinen, dass VW aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Doch statt die grüne Transformation konsequent voranzutreiben, setzte man lieber auf faule Kompromisse wie E-Fuels. Das Ergebnis? Ein technologisches Vakuum und hohe Kosten für externe Zukäufe.

Während Tesla und chinesische Hersteller wie BYD auf dem Markt dominieren, versucht VW mit Softwareproblemen und veralteten Strategien mitzuhalten. Wer zahlt am Ende die Rechnung? Genau, die Belegschaft – jene, die an keiner einzigen dieser strategischen Entscheidungen beteiligt war.

Die Ironie? Dieselben Manager, die jetzt Sparmaßnahmen fordern, haben mit ihren falschen Entscheidungen das Unternehmen in diese missliche Lage gebracht. In einer gerechten Welt würde Oliver Blume sein Gehalt selbst um 90 Prozent kürzen. Aber in dieser Welt führt er lieber „konstruktive Gespräche“ mit Aktionären über die nächste Dividende.

Die soziale Verantwortung eines Konzerns – Ein Anachronismus?

Es gab eine Zeit, in der Unternehmen wie VW als Vorbilder für soziale Gerechtigkeit galten. Die Arbeiterinnen in Wolfsburg wussten, dass ihr Beitrag geschätzt wird. Doch diese Ära ist längst vorbei. Heute zählen nur noch Renditen und die Zufriedenheit der Anteilseigner. Die Mitarbeiterinnen? Eine Fußnote in der Quartalsbilanz.

Dabei sollte es anders sein. Gerade in Zeiten von Transformation und Unsicherheit müsste VW ein Zeichen setzen: Keine Dividenden, bevor Arbeitsplätze gesichert sind. Kein Bonus für das Management, bevor die Werkstore offen bleiben. Doch solche Gedanken sind wohl naiv in einer Welt, die den Kapitalismus mit religiösem Eifer praktiziert.

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Eine Lektion in Zynismus

Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. VW zeigt, wie weit wir uns von einer gerechten Wirtschaftsordnung entfernt haben. Die Krise wird auf dem Rücken der Arbeiterinnen ausgetragen, während Aktionäre und Manager weiter schlemmen.

Aber vielleicht ist es Zeit für einen Gegenschlag. Für Gewerkschaften, die sich nicht länger mit „alternativlosen“ Kürzungen abspeisen lassen. Für Belegschaften, die sich wehren. Und für Konsumentinnen, die sich fragen, ob sie wirklich ein Auto von einem Konzern kaufen wollen, der soziale Verantwortung gegen Dividenden eingetauscht hat.

Es bleibt zu hoffen, dass dieser Text eine Diskussion anstößt. Über Gerechtigkeit, über Verantwortung – und über ein System, das dringend reformiert werden muss.


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