
Wie unsere digitale Aorta die Welt auf der Kippe hält
Mitten im Ozean, fernab jeglicher menschlicher Augen, liegen sie wie schlafende Riesenschlangen: die Unterseekabel. Sie sind die stillen Helden der Globalisierung, die Adern einer vernetzten Welt, die uns ermöglichen, Katzenvideos zu streamen, Börsenkurse in Echtzeit zu verfolgen und internationale Krisen live zu kommentieren – oft simultan. Doch so alltäglich wie das Internet für uns geworden ist, so wenig denken wir darüber nach, was eigentlich passiert, wenn wir „Enter“ drücken. Wir gehen naiv davon aus, dass die Welt reibungslos funktioniert, dass die Datenströme sicher und ungestört fließen. Aber das ist ein Irrtum. Diese fragilen Kabel sind nicht nur unsere Rettungsleine zur digitalen Welt, sondern auch unsere Achillesferse – und sie könnten jederzeit reißen.
Was passiert, wenn die Aorta platzt
Stellen Sie sich vor, es ist ein gewöhnlicher Morgen. Der Wecker klingelt, Sie greifen zum Smartphone, um die Nachrichten zu checken – doch nichts passiert. Keine Verbindung. Sie versuchen Ihren Laptop, Ihren Fernseher, Ihre Kaffeemaschine mit WLAN-Funktion. Nichts. Es dauert einige Stunden, bis klar wird, dass es nicht an Ihrem Router liegt, sondern an einem Riss in einem der Unterseekabel, die den internationalen Datenverkehr transportieren.
Das klingt wie der Anfang eines dystopischen Romans, ist aber eine reale Gefahr. 99 % des weltweiten Datenverkehrs werden über diese Kabel transportiert, nicht über Satelliten, wie viele denken. Ohne sie steht nicht nur TikTok still. Banken können keine Transaktionen mehr abwickeln, Flugzeuge verlieren ihre Kommunikationsfähigkeit, und Börsen stürzen ins Chaos. Selbst militärische Operationen, die zunehmend von digitaler Infrastruktur abhängen, könnten paralysiert werden. Kurz gesagt: Der Riss eines einzigen Kabels reicht aus, um die Welt an den Rand des Wahnsinns zu treiben.
Die verwundbare Aorta der globalen Kommunikation
Doch warum sind diese Kabel so verletzlich? Ein Unterseekabel ist im Durchschnitt nicht dicker als ein Gartenschlauch. Es besteht aus einem Kern aus Glasfasern, umgeben von einer dünnen Schicht Stahl und Kunststoff. Das genügt, um Daten mit Lichtgeschwindigkeit zu übertragen, aber kaum, um sie zu schützen. Die Bedrohungen sind vielfältig: Ein falsch gesetzter Anker eines Frachtschiffs kann ein Kabel durchtrennen. Ein neugieriger Hai, der an den Leitungen knabbert, wie es tatsächlich schon vorgekommen ist, kann den Datenfluss stören. Und dann ist da noch die Möglichkeit gezielter Sabotage – sei es durch Staaten, die geopolitische Rivalitäten ausfechten, oder durch Hackergruppen, die die Weltordnung ins Chaos stürzen wollen.
Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie real diese Bedrohung ist. Im Oktober 2022 wurden die Unterseekabel zwischen Norwegen und dem arktischen Archipel Svalbard beschädigt. Die Ursache? Bis heute ungeklärt. Manche sprechen von Naturgewalten, andere von einem Sabotageakt. Die Konsequenzen waren jedenfalls gravierend: Kommunikationsausfälle, Wirtschaftsschäden und eine Welle von Unsicherheiten, die weit über die Region hinausgingen.
Keine globale Schutzstrategie
Und jetzt kommt der eigentliche Schocker: Es gibt kein internationales Schutzsystem für diese Kabel. Kein multilateraler Vertrag, keine Sicherheitsgarantien, keine Taskforce, die bereitstünde, um im Ernstfall zu reagieren. Die Kabel gehören privatwirtschaftlichen Konsortien, und ihre Sicherung liegt weitgehend in den Händen von Telekommunikationsfirmen und einigen wenigen Staaten. Doch selbst mächtige Länder wie die USA oder China haben nur begrenzte Kapazitäten, um diese kritische Infrastruktur zu schützen.
Die Argumentation, warum nicht mehr getan wird, ist ebenso banal wie frustrierend: Die Kosten. Es wäre teuer, jedes Kabel zu überwachen oder zu schützen. Lieber setzt man auf Redundanz, also auf das Prinzip, dass Datenströme einfach über andere Kabel umgeleitet werden, wenn eines ausfällt. Doch diese Strategie funktioniert nur bis zu einem gewissen Punkt. Bei großflächigen Angriffen oder einer Kaskade von Ausfällen – denken Sie an Naturkatastrophen oder koordinierte Sabotageakte – wäre die Welt im wahrsten Sinne des Wortes offline.
Kabel als Mittel der Macht
Die Verletzlichkeit der Unterseekabel bleibt nicht unbemerkt. Geopolitische Akteure haben längst erkannt, dass sie eine neue Art von Waffe darstellen. Wenn Russland mit seinen U-Booten in der Nähe von Kabelverbindungen patrouilliert, geht es nicht nur um Spionage. Es geht um Macht. Der Riss eines wichtigen Kabels könnte das westliche Finanzsystem destabilisieren oder den Datenaustausch zwischen NATO-Partnern behindern. Auch andere Länder experimentieren mit der Idee, Kabelverbindungen zu nutzen, um geopolitischen Druck auszuüben.
Die Zukunft sieht nicht besser aus. Mit der wachsenden Polarisierung zwischen China und dem Westen könnte es bald zu einer Fragmentierung des globalen Internets kommen. Ein Kabel, das heute Datenströme zwischen zwei Ländern ermöglicht, könnte morgen zum Ziel eines Cyberkrieges werden. Und wir alle sitzen in der Mitte dieses gefährlichen Spiels, ohne es wirklich zu wissen.
Schutz durch Transparenz und Kooperation
Die Lösung des Problems ist kompliziert, aber nicht unmöglich. Der erste Schritt wäre, mehr Transparenz zu schaffen. Die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass diese Kabel existieren, geschweige denn, wie entscheidend sie sind. Die Regierungen sollten den Schutz dieser Infrastruktur zu einer Priorität machen und internationale Vereinbarungen schaffen, die Sabotage oder Schäden unter Strafe stellen.
Zweitens braucht es eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Staaten und Unternehmen. Die Unterseekabel sind zwar privatwirtschaftlich betrieben, aber ihre Bedeutung geht weit über die Interessen einzelner Firmen hinaus. Ein globales Schutzsystem, ähnlich wie bei anderen kritischen Infrastrukturen, wäre längst überfällig.
Schließlich muss in Forschung und Entwicklung investiert werden. Neue Materialien, Überwachungstechnologien und Reparaturmethoden könnten helfen, die Kabel widerstandsfähiger zu machen. Und ja, auch die Digitalisierung könnte hier ironischerweise Teil der Lösung sein – durch Technologien, die weniger von physischen Leitungen abhängig sind.
Ein Riss genügt, um die Welt zu spalten
Die Unterseekabel sind die unsichtbare Lebensader unserer modernen Welt, aber sie sind auch ein Mahnmal unserer Verwundbarkeit. Ein einziger Riss könnte Chaos auslösen, das weit über Internetprobleme hinausgeht. Es ist höchste Zeit, diese Gefahr ernst zu nehmen und Schritte zu unternehmen, um unsere digitale Infrastruktur zu schützen. Denn wenn wir nichts tun, wird der nächste Kabelbruch nicht nur eine technische Störung sein – er könnte das Ende der Welt, wie wir sie kennen, einläuten.
Quellen und weiterführende Links
- Newton, Casey. „Undersea Cables: The Hidden Backbone of the Internet.“ The Verge, 2023.
- NATO Cyber Defence. „The Strategic Importance of Submarine Cables.“ NATO Report, 2022.
- Zetter, Kim. Countdown to Zero Day: Stuxnet and the Launch of the World’s First Digital Weapon. Crown, 2015.
- „Cable Breaks and Disruptions: Lessons from Svalbard.“ Financial Times, October 2022.
- Underwater Research Group. „Protecting Global Communication: The Case for International Regulation.“ Journal of Infrastructure Studies, 2024.