
Der Elefant im Kristallpalast
Donald Trump, dieser orangefarbene Apokalyptiker, hat es wieder getan. Ein einziger Satz, ein beiläufig in den US-Kongress geschmettertes Aperçu, und die kollektive Hirnrinde des europäischen Politbetriebs zuckt in nervöser Ehrpusseligkeit. Die EU, so raunzt der demagogische Sonnenkönig von Mar-a-Lago, habe mehr Geld für russisches Öl und Gas ausgegeben als für die Verteidigung der Ukraine. Und wie so oft bei Trump liegt in der bitteren Provokation eine unbequeme Wahrheit verborgen – was ihn vermutlich selbst am meisten überrascht haben dürfte.
Der Kontinent der moralischen Superlative
Europa – das ist der Weltgeist in Seidenbluse, der Hort der universalistischen Moral, die spirituelle Heimstatt der Menschenrechte, kurz: die unbestrittene Hauptstadt des Bessermenschentums. Hierzulande erklärt man den Schwellenländern die Energiewende und den USA die Todesstrafe, während man selbst in fossilen Wohlstandsblasen haust, deren Heizungspumpen sich glucksend aus sibirischen Pipelines speisen.
Dass die EU seit drei Jahren Putin mit Milliardenbeträgen den Kriegsapparat schmiert, während sie der Ukraine in tröpfelnden Almosen humanitäre Checkbücher entgegenwedelt – ach, das ist ein Sachverhalt, den man lieber hinter Parlamentsfloskeln und Nachhaltigkeitszertifikaten verbirgt. Wie nannte es der große Philosoph Karl Kraus doch gleich? Die höchste Form der Heuchelei sei jene, die sich selbst nicht einmal als Heuchelei begreife.
Realpolitik oder Selbstbetrug?
Nun könnte man ja einwenden, der fossile Fetischismus der EU sei eine unvermeidliche Notwendigkeit der Realpolitik – ein pragmatischer Pakt mit dem Teufel zur Aufrechterhaltung der sozialen Wärme in den Eigenheimparadiesen des Rhein-Main-Gebiets. Man könnte sagen: Der Winter ist lang, das Gas knapp, und wer heizt, der sündigt. Doch diese zynische Ehrlichkeit bleibt in Brüssel ebenso Mangelware wie handfeste Energiestrategien.
Stattdessen pflegt man eine semantische Doppelmoral, die jede Pipeline in ein politisches Paradoxon verwandelt: Russische Energieimporte heißen „Übergangslösungen“, während Waffenlieferungen an die Ukraine „unverzichtbare Solidarität“ genannt werden. Man führt keinen Wirtschaftskrieg, sondern nur „gezielte Sanktionen“, während der Rubel in Gazprom-Kassen munter weiterrollt.
Der Trump-Moment
Und dann kommt ausgerechnet Donald J. Trump daher, dieser großmäulige Störenfried der diplomatischen Fassade, und entlarvt die europäische Doppelmoral in einem einzigen Satz. Ein Zyniker, der die Wahrheit sagt, bleibt immer noch ein Zyniker – aber eben auch einer, der die Wahrheit sagt. Vielleicht liegt darin die größte Kränkung für die feinnervige europäische Seele: Dass sie sich von einem Trump das moralische Nacktsein vorführen lassen muss.
Der Selbstbetrug der Wertegemeinschaft
Freilich ist der wahre Skandal nicht, dass Europa russisches Gas kauft – sondern dass Europa sich dabei weiterhin für die Avantgarde der Menschlichkeit hält. Wer in Davos mit heiligem Ernst von Klimaneutralität doziert, während der Mercedes-SUV in der Garagenauffahrt noch auf Gazprom-Diesel tuckert, der sollte zumindest die Anständigkeit besitzen, seine Hybris als solche zu benennen.
Es ist die alte europäische Krankheit: Die Vorstellung, dass noble Absichten den moralischen Bankrott der Realität kompensieren könnten. Die Ukraine verteidigen, aber bitte nur mit Lippenbekenntnissen und Waffen aus den Depots der 80er-Jahre. Energieunabhängigkeit predigen, aber am liebsten auf der Grundlage russischer Moleküle. Sanktionen verhängen, aber nur so, dass sie weder den Porsche Cayenne noch den Heizölvorrat gefährden.
Die Dialektik des Wohlstands
Europa hat sich in eine dialektische Zwickmühle manövriert, in der es gleichzeitig seine moralische Überlegenheit behauptet und seine ökonomische Abhängigkeit pflegt. Man prangert den Aggressor an und finanziert ihn mit diskretem Dauerauftrag. Man fordert Wertegemeinschaften, aber nur so lange, wie diese den eigenen Wohlstand nicht substanziell gefährden.
Dabei wäre der ehrliche Weg so einfach: Wenigstens einmal zu sagen, dass man sich seinen Frieden mit dem fossilen Opportunismus gemacht hat. Dass Wohlstand in diesen Breiten nun mal wichtiger ist als die ukrainische Souveränität. Dass ein warmes Wohnzimmer in Stuttgart mehr zählt als ein kaltes Grab in Bachmut.
Die unbequeme Wahrheit
Doch diese Ehrlichkeit wird es nicht geben. Stattdessen wird man weiter Moralstolz predigen und sich gleichzeitig von Gazprom die Gasspeicher auffüllen lassen. Der europäische Heiligenschein bleibt poliert, während im Hintergrund der Rubel rollt. Und irgendwann, wenn der Krieg vorüber ist und der letzte ukrainische Soldat für unsere Prinzipien gestorben ist, wird man feierliche Gedenkreden halten – selbstverständlich klimaneutral.
Bis dahin aber sei Trump gedankt. Nicht dafür, dass er die Wahrheit gesagt hat – sondern dafür, dass er uns daran erinnert hat, dass sie in Europa niemand hören will.