Ein nüchterner und ernüchternder Blick

Die “Wir-schaffen-das-Willkommenskultur“ von Frau Merkel (ehrlich wäre gewesen: „Wir schaffen das nur, wenn …“ bzw. „Wir schaffen das nicht, wenn …“) beruht – nüchtern betrachtet – im Wesentlichen auf einen doppelten Rechtsbruch:

  1. Bruch europäischen Rechts – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III), und
  2. Bruch des Grundgesetzes Artikel 16a Absatz 2 ((1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.)

Jetzt gibt es viele, auch gute Gründe diese Vorgehensweise zu begrüßen, von ganz allgemeinen humanitären Überlegungen bis hin zu dies sei „nicht mehr und nicht weniger als ein humanitärer Imperativ„.

Es gibt aber auch gute Gründe die dafür sprechen von gewählten Regierungen zu erwarten EU-Recht, Verfassungen und Grundgesetze einzuhalten, um den modernen Rechtstaat, der letztlich unsere offene Gesellschaft garantiert, zu bewahren.

Viktor Orban, der dieses EU-Recht brachial durchsetzen lies, zeigte damit unfreiwillig, wie unsolidarisch die sogenannte Union ist und legt die Defizite der EU-Flüchtlingspolitik bloß. Im Grunde übernahm Orban damit die brutale Drecksarbeit der EU. Griechenland und Italien, aber auch Österreich ließen die Flüchtlinge lieber ungehemmt durch das Land reisen und reichen das Problem bequem weiter, vor allem an Deutschland und Schweden.

Einstweilen polarisiert sich die Debatte zwischen „refugees welcome“ und „Ausländer raus“. Was für Helmut Qualtinger noch „Simmering gegen Kapfenberg“ war ist nun zum Kampf „Gutmenschen“ gegen „Pack“ (© Sigmar Gabriel) geworden. Absehbare Probleme die mit der Aufnahme zehntausender Menschen aus anderen Kulturkreisen, unterschiedlichster Ethnien und Sozialisation zwangsläufig verbunden sind, werden entweder zur „Bereicherung“ verklärt oder als „Überfremdung“ bzw. „Islamisierung“ dramatisiert. All dies trägt zwar zu einer erheblichen Beruhigung der eigenen Befindlichkeit bei, lässt aber vor allem eines außer Acht: die Menschen, jene die kommen und jene die bereits hier sind.

Die offensichtlichen Probleme die der Versuch einer gelungenen Integration mit sich bringen wird (und das wird uns noch viele Jahre beschäftigen), werden entweder negiert oder jegliche Integration als unmöglich dargestellt. Stattdessen finden Stellvertreterdebatten über Symptome statt, ein ganzheitlicher Befund wird aber nicht erstellt, eine Therapie damit verunmöglicht.

Die Folgen sind evident. Die Freiheitlichen in Österreich, AfD in Deutschland, der Front National, UKIP, die Schwedendemokraten und Kollegen sind von Randerscheinungen zu politischen Hauptdarstellern gewachsen. In Österreich, Schweden oder den Niederlanden liegen die National-Populisten in Umfragen voran.

Eine vernünftige Reaktion der (ehemaligen) Groß- bzw. Volksparteien ist nicht in Sicht. Das eigene Handeln (sei es in der Banken/Eurokrise, bei der Hypoabwicklung oder nun in der Flüchtlingskrise) wird als „alternativlos“ dargestellt, und damit jede Diskussion darüber von vornherein abgewürgt. Gewinner können nur jene seien, die die Diskussion trotzdem anstoßen (wenngleich zumeist auch ohne Lösungsansätzen), und diese sind eben am rechten Rand angesiedelt. Deren Aussagen werden als kontraproduktiv, ausländerfeindlich (was sie ja auch zu oft sind) und generell nutzlos dargestellt, da das eigene Handeln ja „alternativlos“ ist. Somit beißt sich die Katze wieder in den Schwanz.

Derweil wächst das Misstrauen in die Politik und die Medien – Stichwort „Lügenpresse“ -, wachsen die Ängste oder zumindest das diffuse Unbehagen, dass hier etwas ziemlich schiefläuft.

Für eine differenzierte politische Diskussion bleibt da kein Platz mehr, schlimmstenfalls Hass auf der einen, Mitleid auf der anderen Seite.

Mitleid ist aber keine politische Kategorie. Mitleid kann eine Motivation für die Zivilgesellschaft sein, um ein Zeichen zu setzen. Politik aber muss auf Eventualitäten vorbereitet sein, Politik muss keine Zeichen, sondern Handlungen setzen. Aber was ist von einer Regierung zu erwarten, die nicht einmal im Stande ist Zeichen zu setzen, eine Regierung die sich vor den Kameras beflegelt?

Bei einer realistischen Betrachtung der EU-Verhältnisse muss man davon ausgehen, dass es (absehbar) keine Europäische Einigung geben wird. Die neue Regierung in Polen, Viktor Orban in Ungarn, die Baltischen Staaten zeigen nicht die geringste Bereitschaft sich zu bewegen, Frankreich will innerhalb von zwei Jahren 24 000 Flüchtlinge (soviele kammen an einem Wochenende nach Deutschland), England 15.000 aufnehmen (das Vereinigte Königreich steht zudem vor eine EU-Abstimmung 2016); der Rest Europas verhält sich, zwischen abblocken und durchwinken, nicht viel anders, .

Auch muss man davon ausgehen, dass (absehbar) keine Verbesserung der Lage in den regional nahen Flüchtlingslagern stattfinden wird, so oft dies auch gefordert wird (ein paar Milliarden für Banke sind schnell gefunden …), und die Konflikte in Syrien, Afghanistan und Irak nicht beendet werden, sondern noch eher andere wie der Jemen dazu kommen (in der Ukraine gibt es 2 Millionen Binnenflüchtlinge).

Vorerst bezahlt man Recep Tayyip Erdoğan (und belohnt ihn damit für seine demokratischen Defizite, die Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die Islamisierung der Türkei (In seiner Rede anlässlich des 562. Jahrestages der Eroberung Konstantinopels sagte Erdoğan vor einer Million Zuhörern: „Eroberung heißt Mekka. Eroberung heißt Sultan Saladin, heißt, in Jerusalem wieder die Fahne des Islams wehen zu lassen.“), beschleunigt die (fragwürdigen) EU-Beitrittsverhandlungen, um die „Drecksarbeit“ aus der EU „out zu sourcen“.

Sollte sich Deutschland vor diesem Hintergrund entschließen zur Einhaltung beider Rechtsnormen zurückzukehren (die Einhaltung geltenden Rechtes müsste ja nicht einmal begründet werden), hat Österreich ein massives Problem.

Es gibt wohl eine gewisse Schonfrist über den Winter, aber es gibt keine rationalen Gründe warum spätestens im Frühjahr die Fluchtbewegungen nicht wieder an Intensität gewinnen werden. Schweden hat bereits das Ende seiner liberalen Flüchtlingspolitik verkündet. (Aufenthaltsgenehmigungen gibt es nur mehr befristet, der Familien-Nachzug wird beschränkt). Zieht Deutschland (spätestens im Frühjahr) nach, wird Österreich zum Endpunkt der bisherigen Fluchtroute.

Droht nun eine Schließung der Deutschen Grenze – die Deutsche Bundespolizei hat wohl schon konkrete Pläne ausgearbeitet – so steht Österreich wohl vor der größten Herausforderung der Zweiten Republik.

Erreichen wieder jeden Tag tausende Menschen die Österreichische Grenze (die dann aber nicht mehr per Bus nach Passau weitergereicht werden können), wird es nötig sein, Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen werden aber einer Regierung abverlangt werden, die sich nicht einmal vor laufender Kamera darauf einigen kann, ob ein Minister ein Papier erhalten habe oder nicht.

Diese Entscheidungen werden humanitären Grundsätzen entsprechen müssen, werden aber auch umsetzbar sein müssen. Viele dieser Entscheidungen werden unangenehm, schmerzlich und wohl auch unpopulär sein. Sie müssen aber trotzdem so vermittelt werden, dass sie von einer Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden können, will man Österreich nicht vollkommen der Nummer eins in der Parteienlandschaft überlassen. Für Absichtserklärungen und Wunschvorstellungen wird es dann zu spät sein.

Die Regierung ist gefordert die, wohl kurze Zeit, zu nutzen um zur Politik zurückzufinden. Das dies gelingt darf aber bezweifelt werden.

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