Satire darf alles! Oder doch nicht?

Satire überhöht, sie kann ironisch, sarkastisch, manchmal verletzend sein. Satire ist kalkulierte Kritik, Spott oder Beleidigung, auf Missstände hinweisen bzw. Änderungen provozieren will. Aber sie ist immer eine friedliche Art der Kritik. Auch diese Methode an Stelle von Gewalt, Terror, Zerstörung und Verfolgung ist ein ganz entscheidender, extrem wichtiger Bestandteil des westlichen Wertekanons. Satire dient der Aufklärung, und sei es nur dadurch, dass sie eine Autorität ins Lächerliche zieht. Idealerweise unterläuft die Satire überdies ein Denkverbot. Deshalb riskiert sie etwas. Satire bedeutet Auseinandersetzung, sie rüttelt an Verkrustungen – je verkrusteter umso mehr wird gerüttelt. Das Rütteln bedeutet auflockern und nicht bekämpfen. Satire ist auch ein Medium um Benachteiligten und Schwachen in der Gesellschaft eine Stimme, eine Kunstform zu verleihen, ein Mittel gegen Herrschende, gegen Besitzende, gegen Machthaber einer Gesellschaft. Satire sollte nicht die Vorurteile des Publikums bedienen, sondern sie in Frage stellen.

Der Satiriker Kurt Tucholsky verteidigte seine Arbeit in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg wie folgt: „Was darf Satire? Alles!“.

Man muss Satire aushalten können, so etwas nennt sich Demokratie. Zur Demokratie gehöre das Recht auf Kritik, Satire und sogar Beleidigung. Das hat viel mit Selbstbewusstsein zu tun. Man kann sich selbst oder etwas mit dem man sich identifiziert nur dann satirisch betrachten, wenn man ein Mindestmaß an Selbstbewusstsein hat und nicht unter zu starken Minderwertigkeitskomplexen leidet.

Wer Karikaturen oder Satire nicht aushalten kann, kann in seiner Überzeugung nicht sonderlich gefestigt sein.

Auf den Punkt gebracht

Satire ist Ausdruck von Meinungsfreiheit. Ein Gut, das es zu schützen gilt.

Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht, anderen Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen„, hat George Orwell gesagt.

Aber das kann man nur erreichen, wenn Kritik (an welcher Religion auch immer), zum Beispiel in Form von Karikaturen, als Teil des öffentlichen Diskurses wahrgenommen und akzeptiert wird.

Satire gegen die Religion ist wichtig, weil und soweit sich die Religion ihrerseits Kritik an der Gesellschaft leistet.

Lachen, bis die Jihadisten kommen

Man kann Witze über alles machen! Nur nicht über Mohammed, über Allah, über den Koran, über die Schriften?

Mit Salman Rushdie und den „satanischen Versen“ schien 1988/89 alles anzufangen. Im zunehmend säkularen Europa war das Thema Blasphemie vor 2004 nur noch selten zu einem Streitpunkt oder Rechtsfall geworden – schon gar nicht in diesem Ausmaß. Die Ermordung des niederländischen Regisseurs und Publizisten Theo Van Goghs im Jahr 2004 war ein Wendepunkt. Das künstlerische und kulturelle Leben in Europa denkt an Einschüchterungen und Selbstzensur: Europaweit werden Artikel oder Kunstwerke zurückgehalten oder zurückgezogen, Ausstellungen geschlossen bzw. Opern nicht aufgeführt – aus Angst vor möglichen Reaktionen von Islamisten. Kritiker „solch einer Selbstzensur“ sprachen von Kapitulation und Erpressung.

Dass gerade Satire und Religion leicht in Spannung geraten, haben Künstler immer wieder erfahren. So löste in Österreich der Karikaturist Gerhard Haderer einen Skandal aus, als er Jesus als liebenswerten Weihrauch-Kiffer darstellte. Pop-Queen Madonna sorgte für Wirbel, als sie sich während einer Bühnenshow an ein mit Spiegeln besetztes Kreuz hängen ließ und den Papst einlud, ihr Konzert in Rom zu besuchen. Muss man es gutheißen, wenn Femen-Aktivistinnen im Kölner Dom auf den Altar hüpfen? Natürlich nicht, aber man muss es ertragen. Dasselbe gilt auch für die Mohammed-Karikaturen.

Der Koran an sich enthält aber kein dezidiertes Abbildungsverbot des Propheten. Nur die Anbetung von Götterbildern – also der Götzenverehrung – ist strikt untersagt. Denn wie bei anderen monotheistischen Religionen ist der Hintergedanke jener, dass nicht das Bild wichtiger wird als das, was es repräsentiert.

«Unser wunderbares Wertesystem hat es geschafft, dass man auch den Papst karikieren kann und trotzdem steht niemand mit einer Pistole oder einer Kalaschnikow an der Tür. Diese Freiheit haben gerade wir Deutschen mühsam genug errungen. Wir sollten sie keinesfalls aufs Spiel setzen», sagt der deutsche Karikaturist Klaus Staeck, bekannt für seine politischen Poster.

Diese Form der Meinungsfreiheit ist ein durch und durch säkularer Wert, der in der Aufklärung gegen die Religionen und ihre Deutungshoheit über die Welt erstritten wurde.

Eine Gefahr droht aber kaum von Auflagen und Einschränkungen, sondern eher von der Selbstzensur der Medien- und Kunstschaffenden.

Dazu Salman Rushdie: „Was mich beunruhigt, ist die Leichtigkeit, mit der sich die Menschen in Europa und Amerika in ihren Grundfesten erschüttern ließen. Ich glaube, das Problem liegt darin, dass die Einschüchterung zunehmen wird und dass jene Werte, die im Westen hunderte Jahre Gültigkeit hatten, nämlich Satire, Lächerlichkeit, Witze, Lachen und Skeptik sowie die Bereitschaft, sich nicht vor jeder Macht auf den Boden zu werfen, an Kraft verlieren.“

Karikaturenstreit

Am 30. September 2005 veröffentlicht die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ 12 Karikaturen mit dem Titel „Die Gesichter Mohammeds„.

Daraufhin kam es weltweit zu Protesten muslimischer Organisationen, vom Boykott dänischer Produkte bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen mehr als 140 Menschen den Tod fanden und über 800 verletzt wurden. Dänische und norwegische Botschaften wurden angegriffen und teilweise zerstört.

Am 1. Februar 2006 druckten dann einige europäische Zeitungen eine oder mehrere der umstrittenen Karikaturen.

In Österreich erschienen diese in der Kronen Zeitung, der Kleinen Zeitung und der Sonntags-Rundschau.

In Deutschland veröffentlichte Die Welt alle zwölf Karikaturen, Die Zeit, FAZ, Tagesspiegel, Berliner Zeitung und die taz einige der Karikaturen, während Bild und Spiegel Online einen Abdruck ablehnten. Später veröffentlichten die beiden Magazine Der Spiegel und Focus im Zuge der Berichterstattung einige Karikaturen, woraufhin Ägypten den Verkauf der aktuellen Ausgaben verbot.

Flemming Rose, damals Feuilleton-Chef der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“, hatte die Karikaturen mit dem erklärten Ziel veröffentlicht, der in Europa um sich greifenden Selbstzensur, die er erkannt haben wollte, ein Zeichen im täglichen globalen Kampf für die freie Meinungsäußerung entgegenzusetzen.

In einem Begleittext zu den Karikaturen schrieb er damals, in einer säkularen Demokratie müssten alle Individuen und gesellschaftlichen Gruppen Hohn, Spott und Satire akzeptieren – auch Muslime. Das sei eine Form von Anerkennung und Inklusion: Ihr seid weder Gäste noch Fremde oder eine Randgruppe, sondern ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft.

Wer anfange, Tabus in der öffentlichen Debatte zu akzeptieren, gerate auf die schiefe Bahn. Dann könne jede gesellschaftliche Gruppe bestimmte Tabus für sich beanspruchen – am Ende sei die Meinungsfreiheit eine Karikatur ihrer selbst.

Der Begriff „Karikaturenstreit“ erreichte bei der Wahl zum Wort des Jahres 2006 in Deutschland den dritten Platz.

CHARLIE HEBDO – Humor bis zum Tod

Charlie Hebdo“ ist eine wöchentlich erscheinende Satirezeitschrift; sie gilt neben „Le Canard enchaîné“ als das bedeutendste Satiremagazin Frankreichs. Die Zeitschrift gehört zu den wenigen auf der Welt, welche im Februar 2006 die Mohammed Karikaturen aus der dänischen Jyllands-Posten nachgedruckt hatten. Bereits 2011 war die Wochenzeitung Ziel eines Brandanschlags, nachdem sie eine Abbildung des islamischen Propheten Mohammed auf ihrer Titelseite veröffentlicht hatte.

Am 7. Januar 2015 fand ein islamistisch motivierter Terroranschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris statt. Zwei maskierte Täter, die sich später zu Al-Qaida im Jemen bekannten, drangen in die Redaktionsräume der Zeitschrift ein, töteten und verletzten mehrere Anwesende und brachten auf ihrer Flucht einen weiteren Polizisten um. Am 9. Januar verschanzten sie sich in Dammartin-en-Goële; Sicherheitskräfte erschossen die beiden Täter.

Die Täter erschossen in der Redaktion zehn Personen: den Herausgeber und Zeichner Stéphane Charbonnier („Charb“), die Zeichner Jean Cabut („Cabu“), Bernard Verlhac („Tignous“), Philippe Honoré und Georges Wolinski, den Wirtschaftswissenschaftler und Mitinhaber der Zeitschrift Bernard Maris („Oncle Bernard“), den Lektor Mustapha Ourrad, den Kultur-Veranstalter Michel Renaud, die Psychiaterin und Psychoanalytikerin Elsa Cayat und den Personenschützer Franck Brinsolaro.

Der Anschlag erfolgte am Tag des Erscheinens des islamkritischen Romans „Soumission“ (Unterwerfung) von Michel Houellebecq in Frankreich. Der Roman beschreibt das Leben in Frankreich unter einem muslimischen Präsidenten.

Der Schriftsteller Salman Rushdie, der 1989 selbst Ziel einer Fatwa wurde, äußerte sich am Tag des Anschlags in einer Presseerklärung: „Religion, eine mittelalterliche Form der Unvernunft, wird, wenn sie mit modernen Waffen kombiniert wird, zu einer echten Gefahr unserer Freiheiten. Derartiger religiöser Totalitarismus hat zu einer tödlichen Mutation im Herzen des Islams geführt und wir sehen heute die tragischen Folgen in Paris. Ich stehe hinter „Charlie Hebdo“, so wie wir alle es tun müssen, um die Kunst der Satire zu verteidigen, die stets eine Kraft für die Freiheit und gegen die Tyrannei, Unehrlichkeit und Dummheit war. ‚Respekt vor der Religion‘ ist zu einer verschlüsselten Phrase mit der Bedeutung ‚Angst vor der Religion‘ geworden. Religionen, wie alle anderen Ideen, verdienen Kritik, Satire, und, jawohl, unsere angstfreie Respektlosigkeit.“

„Ausweisung radikalisierter Heimkehrer ist barbarisch“

Aus dem Sonntags-Standard:

Katherine Brown über die Rolle von Frauen im Jihadismus – und das Leben ohne Waschmaschinen

STANDARD: Die Sicherheitsbehörden warnen vor radikalisierten Heimkehrern aus Syrien und dem Irak. Kann man Terrortouristen nicht ausbürgern und ihnen die Wiedereinreise verweigern?

Brown: Das hielte ich für barbarisch und eine Tragödie. Wir dürfen diese jungen Leute nicht abschreiben. Natürlich ist die Hinwendung zum Islamischen Staat ein Fehler. Aber ich befürworte Rehabilitation, nicht Ausgrenzung. Wir wollen doch das Signal geben, dass junge Muslime in Europa eine Zukunft haben.

Heimkehrer

Kunst, Blasphemie und Meinungsfreiheit

APA: Bei einer Veranstaltung mit dem islamkritischen Künstler Lars Vilks in Kopenhagen ist es am Samstag zu einer Schießerei gekommen. Laut Medienberichten wurde dabei ein Zivilist getötet, drei Polizisten wurden verletzt. Mindestens 40 Schüsse wurden abgefeuert. Auch Frankreichs Botschafter Francois Zimeray nahm an der Veranstaltung teil.

Mit automatischen Waffen wurde ein Kulturhaus im Stadtteil Österbro, in dem der schwedische Mohammed-Karikaturist Lars Vilks und zahlreiche andere Menschen über Kunst, Gotteslästerung und Meinungsfreiheit diskutierten, unter Beschuss genommen. Die Polizei geht davon aus, dass der Angriff Vilks galt, der schon mehrfach Ziel von Anschlägen war. Die dänische Regierung sprach von einem „Terrorakt“. Vilks blieb wie auch Zimeray unverletzt.

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UPDATE:

In der Nacht kam es vor einer Synagoge und später dann auf einem Bahnhof zu weiteren Schusswechseln. Dabei wurden zwei weitere Menschen getötet. Die Schüsse in der Nacht vor der Synagoge in Kopenhagen trafen demnach einen jungen jüdischen Wachmann tödlich in den Kopf. Das sagte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Dan Rosenberg Asmussen, dem dänischen Sender TV2 News. „Er war Mitglied der jüdischen Gemeinschaft und kontrollierte die Menschen, die in die Synagoge zur Feier einer Bar Mitzwa kamen“, sagte Asmussen.

Während bereits eine landesweite Großfahndung nach den flüchtigen Tätern lief – ursprünglich ging man von mehereren Attentätern aus -, eröffnete ein bewaffneter Mann am Bahnhof Noerreport das Feuer auf die Polizei, die ihn daraufhin erschoss.

Salman Rushdie über das Verhältnis des Islam zu Witzen

Was mich beunruhigt, ist die Leichtigkeit, mit der sich die Menschen in Europa und Amerika in ihren Grundfesten erschüttern ließen. Ich glaube, das Problem liegt darin, dass die Einschüchterung zunehmen wird und dass jene Werte, die im Westen hunderte Jahre Gültigkeit hatten, nämlich Satire, Lächerlichkeit, Witze, Lachen und Skeptik sowie die Bereitschaft, sich nicht vor jeder Macht auf den Boden zu werfen, an Kraft verlieren.“